Zweitausendzweihundertfünfzig Meter

So hoch war ich im Segelflugzeug noch nie. Und das, obwohl ich mittlerweile seit April 2008 regelmäßig in die Luft gehe. Dabei hatte es Anfang dieses Tages gar nicht danach ausgesehen. Der Wetterbericht hatte zwar gute bis sehr gute Cumulusthermik in Aussicht gestellt, allerdings brachte ein Telefonat mit einem Perlebeger Vereinskameraden am Samstagmorgen Ernüchterung: Keiner da, kein Flugbetrieb. Nunja, zeit um Wäsche zu waschen und die Sommerpellen aufs auto zu wuchten – was mit der nächsten Enttäuschung einherging, weil einer der Reifen durch nen eingefahrenen Nagel Luft gelassen hatte und ich einen anderen gar nicht vom Auto runter bekam. Gegen mittag klingelte das Telefon und just jener Kamerad, der mich am Morgen meiner Flughoffnungen beraubt hatte, informierte mich darüber, dass die Hallentore offen und Fahrzeuge auf dem Flugfeld standen. Gucke da. Kurzer Anruf auf dem Platz: „Klar fliegen wir! Komm rum!“

Zwanzig Minuten später war ich drüben. Vier Mann, ein Flugzeug, so sah der Flugbetrieb aus. Notvariante, ganz offensichtlich, so dass es mich nicht wunderte, dass jede zusätzliche Hand willkommen war. Wobei: Hand anlegen war nicht, denn der Flieger war gerade in die Luft gegangen und das Bodenpersonal drehte Däumchen. So hatte ich Zeit, ne gute halbe Stunde mit David meinen Norwegenurlaub auszuwerten. Nach rund 45 Minuten kamen Horst und Eckart zur Landung, und ich schnallte mir das erste Mal seit zehn Monaten wieder einen Fallschirm um. Zehn Monate. Eine viel zu lange Zeit, die ich ganz und gar unfreiwillig am Boden verbracht hatte. Im August war ich dienstlich auf einem Konzert in Wittenberge gewesen, und hatte mir trotz Ohrenstöpseln einen Hörsturz zugezogen. Es folgten anderthalb Wochen Krankschreibung und weitere drei Wochen Warten auf Besserung – einhergehend mit meiner üblichen Psychomeise in diesem Zusammenhang, Schlafstörungen etc. Da sich keinerlei Verbessung einstellte, entschied ich mich schließlich nach langem überlegen für eine Kortisoninjektion durch das Trommelfell ins Mittelohr, da dies als ultima ratio noch die besten Chancen bot, die Situation zumindest abzumildern. Zusätzlich forderte die Leipziger Praxis ein Schädel-MRT an – astreine Sache, sich als hochgradig lärmempfindlicher Patient zwanzig Minuten bei Dauerbeschallung in eine Röhre zu legen… Bei einer Kontrolle im Frühjahr stellte sich schließlich heraus, dass mein Hirn da ist, wo es hingehört, keine neurologischen Ursachen zu erkennen sind, meine Nasennebenhöhlen alles andere als gut aussehen und – und das war das wichtigste – sich die Hörleistung komplett normalisiert hatte und wieder auf dem Niveau vor dem Konzert war. Die Lärmempfindlichkeit war wieder etwas gestiegen, aber das war mir zu diesem Zeitpunkt komplett egal.

Nunja, endlich wieder im Flieger. Bocian, hinten. Deutlich lauter als vorne, daher gewisse Bedenken. Die habe ich aber kurzerhand mit Blick auf die irren Cumulanten am Himmel beiseite geschoben. Das Seil strafft sich und die Beschleunigung presst uns in die Sitze. Endlich wieder abheben. Und wie! Zahni hatte auf der Winde offenbar nen guten Tag und gab reichlich Stoff. Knapp 400 Meter standen am ende auf dem Höhenmesser, aber das war Makulatur, denn nach ein paar Metern Geradeausflug ging es wie im Fahrstuhl nach oben. Egal wo wir hinflogen – Steigen, Steigen, nichts als Steigen. Nach einer halbe Stunde Kreisen überschritt der Höhenmesser erstmals die 2000er-Marke. Irre. So hoch war ich noch nie. Zuerst flogen wir nach Wittenberge, entschieden dann, über Perleberg nach Karstädt zu fliegen und und von dort nach Perleberg zurück. Das klappte auch völlig problemlos, denn unter 1500 Meter kamen wir praktisch nie. Schon komisch, nach der langen Zeit wieder zu fliegen, und dann auch noch von hinten. Aber nach eine kurzen Eingewöhnung ging es wieder erstaunlich gut. Auf das Zucken der Flächen achten, und wenn eine nach oben geht, Knüppel rum, Pedal treten und einkreisen. Wie gelernt! Zum Schluss nahmen wir noch eine Wolke mit, die einfach zu verlockend aussah. 2250 Meter standen schließlich auf der Uhr. Persönlicher Höhenrekord!! Dann gings mit wilder Luftakrobatik nach unten, denn einfaches Schnellfliegen reichte nicht, um wirklich Höhe abzubauen. David machte allen möglichen Scheiß und auch ich hatte meinen Spaß. Nur Slippen, das mochte mein Co-Pilot so gar nicht, schon gar nicht mit reichlich gezogenem Steuerknüppel – also quasi Lehrbuchmäßig – ich hingegen genoss dass Verückspielen von Vario und Fahrtmesser, wenn ich mit Quer- und Gegenseitenruder die Nase aus dem Wind nahm und den Flieger quasi querstellte und nach reichlich Höhenverlust wieder auf Kurs brachte. Nach rund einer Stunde und zehn Minuten gings in den Landeanflug. Mit 120 Sachen flitzten wir im Bodeneffekt über die Bahn und David parkte exakt am Abzweig in Richtung Hangar. Toller Tag, toller Flug!

Mal gucken was morgen wird, da will ich in Taucha mitfliegen. An diesem Punkt möchte ich mal den Segelflugwetterbericht des DWD zitieren, der dieses mal eine gewisse Ironie erkennen lässt: Man beachte vor allem den Klammereinschub in der Schlagzeile!

152 
FXDL40 EDDP 031700 
DEUTSCHER WETTERDIENST 

Segelflugwetterbericht für Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, 
ausgegeben von der Luftfahrtberatungszentrale Ost 
am 03.05.2014, 19 Uhr, 
gültig fuer Sonntag, den 04.05.2014 

Schlagzeile: 
Mäßige, bestenfalls (!) örtlich gute Quellwolkenthermik (Welcher 
Kontrast zu Samstag!) 

Wetterlage: 
Am Rande eines Hochs über den Britischen Inseln und der Nordsee 
fließt mit nordwestlicher Strömung frische Meeresluft heran. 

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