Auf den Spuren von Otto Lilienthal – mit der LS1 zur BUGA

„Fast möchte man dem Eindrucke Raum geben, als sei der Storch eigens dazu geschaffen, um in uns Menschen die Sehnsucht zum Fliegen anzuregen und uns als Lehrmeister in dieser Kunst zu dienen; fast hört man’s, als rief er die Mahnung uns zu:
Es kann deines Schöpfers Wille nicht sein, Dich, Ersten der Schöpfung, dem Staube zu weih’n, Dir ewig den Flug zu versagen!“

Ist sie das? Der schmale, hell glänzende Strich in der Landschaft, direkt vor dem Wäldchen? Kein Zweifel, das ist sie. Lady Agnes. Eine Iljuschin IL 62, erster Langstrecken-Passagierjet der Sowjetunion, bei der Interflug mit der Kennung DDR-SEG bis zur Wende im Dienst und am 23. Oktober 1989 von Heinz-Dieter Kallbach, einer Legende unter Verkehrspiloten, auf der nur 850 Meter langen Graspiste in Stölln auf den Acker gesetzt. Reife Leistung. Einige Minuten später bin ich mir sicher: Der Sonderlandeplatz Stölln-Rhinow liegt direkt vor mir, vielleicht zehn Kilometer entfernt. Der Plan, mit dem Segelflugzeug zur Bundesgartenschau nach Stölln zu fliegen und ein bisschen auf den Spuren des Flugpioniers Otto Lilienthal zu wandeln, ist geglückt.

Rückblick: Bereits in der Woche vor dem 8. August hatte ich mit Johannes Hille, dem Vorsitzenden des Flugsportvereins „Otto Lilienthal“ Stölln/Rhinow, telefoniert und ihm von meinem Plan erzählt, von Perleberg nach Stölln zu fliegen um den dortigen Standort der Bundesgartenschau 2015 zu besuchen. Obwohl am geplanten Wochenende der Cross Country Champions Cup, kurz CCCC, stattfinden würde, erbarmte sich Johannes, mir einen Hallenplatz für die Else und eine Schlafgelegenheit zu organiaisern. Einen Tag später würde ich versuchen, auch den Rückweg ohne Motorkraft zu bewältigen. Soweit, so gut geplant.

Die Ausrüstung für den Trip musste überschaubar ausfallen, da das Gepäckfach der Else wirklich nur das nötigste fasst. Streckenflieger-Kulturbeutel in Form eines Zipperbags mit Duschbad, Deo, Zahnpasta und Sonnencreme im Miniturformat plus Zahnbürste und Allergiepillen. Wechselwäsche. Ladekabel fürs Handy, Portemonnaie, Jacke, Bordbuch und persönliche Dokumente, die obligatorische Außenlandelektüre, mein Schlafsack und ein Bettlaken samt Kissenbezug. Dazu zwei Flaschen wasser, ein paar Müsliriegel und das übliche Gedöns wie Sonnebrille, Handy, Pisstüte und ICAO-Karte. Mit dem Berg Gepäck stand ich am 8. August pünktlich um zehn in Perleberg auf der Matte, aber die Kombination aus Wetterbericht und dessen empirischer Überprüfung via Blick in den Himmel machte alle Erfolgsaussichten zunichte. Aber ich hatte immerhin Zeit, verschiedenste Beladevarianten durchzuprobieren und den ganzen Kram in den Flieger zu puzzeln. Fazit: es passte fast alles ins Gepäckabteil, lediglich der Schlafsack blieb über. Aber auch das war kein Problem, denn da ich die Else stets mit vier Kissen unterm Arsch fliege, konnte ich hier substituieren: Alle Kissen raus, Schlafsack rein, ein Kissen drauf und es war nicht nur ok, sondern saumäßig bequem. Den Nachmittag verbringe ich damit, der ersten Buga-Standort, Havelberg, ohne Flugzeug abzuarbeiten.
Am Folgetag ergibt sich immerhin ein schöner Flugtag, bei dem ich dreieinhalb Gäste glücklich machen kanne. Ein junger Kerl und seine Freundin wollen einen Windenstart und steigen hinterher mit zum Dauergrinsen festgetackerten Mundwinkeln aus dem Bocian. Flug drei mache ich mit meinem Kumpel Jon, den ich vor einigen Jahren beim Badminton in Wittenberge kennengelernt habe. Im F-Schlepp geht es hinter der Remo der Flugggruppe des JG 71 Richthofen zügig in den Himmel, und im Kreisen über Perleberg spiele ich den Reiseführer. Da Jon noch ein bisschen Spaß haben will, verpasse ich ihm eine Handvoll Parabelflüge, die er ganz offenbar genial findet. Schließlich folgt noch ein F-Schlepp mit einem Gast aus Karstädt, der vor allem aus der Luft fotografieren will. Der Schlepp führt uns zunächst über das ausgedehnte Waldgebiet südlich des Platzes, da ich den Schlepiloten gebeten hatte, nicht über die Stadt zu fliegen, um Ärger wegen Lärm von vornherein aus dem Weg zu gehen. Nach dem ausklinken geht es nach Perleberg, und dort ziehen ich bedächtig Kreise, während hinter mir die Kamera klickt. Schließlich geht es schneller als erwartet nach unten, aber bei 250 Metern finde ich einen Bart, der eng gekreist nochmal 200 Meter bringt. Weiter geht es leider nicht, aber nicht etwa, weil die Luft nicht trägt, sondern weil mein Engagement, meinem Gast für sein Geld mehr Flugzeit zu erkämpfen dessen Kreisflugstabilität diametral entgegen steht. Nachdem von hinten unmissverständlich die Bitte kommt, aufzuhören, reiche ich sicherheitshalber meinen Hut durch mit der Ansage „Wenn, dann da rein!“. Fünf Minuten später sind wir unten, alles gut gegangen.

Zweiter Versuch, zwei Wochen später

An diesem Wochenende scheint alles zu passen. Stabile Wetterlage mit reichlicher Cumulusbildung vorhergesagt und zwei Tage angesetzter Flugbetrieb in Perleberg. Zunächst allerdings muss ich mir Rückholer organisieren, und schließlich erklären sich Frank und Valentin, zwei Piloten, die in Neu Gülze fliegen und in Perleberg eventuell ihren Bergfalken stationieren wollen, bereit, mich im Fall der Fälle vom Acker zu kratzen. Erst gegen 12 Uhr kommt der Flugbetrieb einigermaßen in Gang, und beim Blick an den Wolkenlosen Himmel fluche ich auf den Wettergott und sein Bodenpersonal beim DWD. Nichts tut sich. Der Bocian fällt nach Platzrunden immer wieder runter, aber gegen 13 Uhr bilden sich doch noch Wolken. Ich schleppe das ganze Geraffel zum Flieger, nachdem ich meine Vorflugkontrollliste abgearbeitet habe und überlege noch, mein Trinksstem anzuklemmen, verkneife mir es dann aber. Aberglaube, genau wie mit dem Abkleben: Klebste ab, bleibste da. Klebste nicht ab, fliegste sonstwieweit. Isso. Punkt und aus.

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Wo soll der ganze Mist nur hin?

Um 13.20 Uhr schleudert mich die Winde in den Himmel. Trotz gut 400 Metern geht der Versuch daneben, es steigt kein bisschen. Der Wald in der Südplatzrunde, der sonst eigentlich zuverlässig Steigen bringt, lässt mich im Stich. Nach wenigen Minuten bin ich wieder unten. Egal, ran und zweiter Versuch. Wieder 400 Meter, dieses Mal gehe ich in die Nordplatzrunde, und siehe da, im Gegenanflug steigt es. Zwei, drei Bärte später stehen 1600 Meter auf der Uhr. Das muss zum Abflug reichen trotz des straffen Gegenwindes. Navigatorisch ist das ganze simpel: Einfach in südöstlicher Richtung die Waldkante entlang, als Orientierungslinien eigenen sich die B5 und die Bahnlinie Hamburg-Berlin. Am Boden sehe ich Bad Wilsnack mit der Wunderblutkirche vorbeiziehen, dann Glöwen. Die Elbe glitzert in der Sonne ebenso wie die Havel, die zum einen bei Havelberg in den größeren Fluss einmündet, zum anderen über die Wehre bei Gnevsdorf. Direkt über Havelberg drehe ich ein paar Kreise und habe nebenbei Zeit, die schöne Stadt aus der Vogelperspektive zu betrachten. Das Buga-Gelände im Norden, den Dom, die Insel mit der St. Laurentius-Kirche, in der die Blumenausstellung stattfindet und in der ich mich zwei Wochen zuvor über die – sagen wir mal gewöhnungsbedürftige – Floristik aus Fernost gewundert habe.
In einiger Entfernung eine große, glänzende Fläche. Blick zur Karte, Blick zum Fleck, Aha-Effekt: Der Gülper See. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, denn nun ist klar, dass ich mein Ziel, den Stöllner Flugplatz, selbst ohne weitere Thermik bei entspanntem Gleitflug erreichen müsste. Als ich den See rechts querab habe, ziehe ich noch zwei, drei Angstkreise, die aber keine Höhe bringen. Dennoch erreiche ich mit 1100 Metern Stölln und Lady Agnes gegen 15.12 Uhr Ortszeit. Noch gute zehn Minuten kreise ich hier und versuche, mit dem Handy Fotos der Anlage zu schießen, ohne dabei abzustürzen. Das wird mir schließlich zu doof und ich mache mich klar zur Landung. Bei Stölln Info frage ich die aktuellen Landeinformationen ab, insbesondere die Platzrunde und das Landeverfahren. Da ein Segelflugzeug in der Motorbahn links vom Startaufbau steht, weiter rechts aber noch ein Landezeichen liegt bin ich mir nicht sicher, wie das hier gehandhabt wird. Vom Flugleiter kommt die lapidare Info, dass ich landen kann, wo gerade Platz ist. Um 15.25 Uhr steht die Else auf der Wiese des Stöllner Flugplatzes, eine Stunde und 43 Minuten nach dem Start in Perleberg.

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Havelberg
Der Gülper See.
Der Gülper See.

Lady Agnes und das Lilienthal-Centrum

Das Anmeldeprocedere ist simpel: Hallo, ich bin der und der, habe mit dem und dem gesprochen, habe das und das vor. Alles klar, viel Spaß. Nach einer guten Stunde shake hands und Bekanntmachen laufe ich den Hang hinauf zum Buga-Gelände. Meine Frage, ob es für Leute, die mit dem Segelflugzeug anreisen, Rabatt gibt, quittiert die Kassentante mit verzerrtem Gesicht. Nunja, muss ja nicht jeder was von der Fliegerei halten. So schlendere ich einmal über das kleine Areal, überfliege die Ausstellung in der IL 62 zur Interflug-Geschichte, die ich vor einigen Jahren schonmal ausgiebig inspiziert hatte. Ein Magnum-Mandel später stehe ich auf der Aussichtsterrasse und tackere wehrlosen Menschen, die den Flugbetrieb beobachten, ein Gespräch über die Fliegerei ans Bein.

Der Fliegerpark in Stölln.
Der Fliegerpark in Stölln, daneben der Flugplatz.
Gelandet in Stölln.
Gelandet in Stölln.

Die Zeit drängt, bis 19 Uhr muss ich fertig sein und vermute, im Lilienthal-Centrum möglicherweise etwas länger zu brauchen. So spaziere ich zügig den Flieger- und Landschaftspfad entlang, dessen Infotafeln ich aber erstmal links liegenlasse. Die kann ich auch auf dem Rückweg lesen. Vor dem Lilienthal-Centrum erwartet eine Let Z-37 Čmelák die Besucher. Das Gebäude der alten Brennerei beherbergt eine nette kleine Ausstellung, in der das Wirken von Otto Lilienthal gewürdigt wird. Dabei steht die Information im Fokus und weniger die Ausstellung historischer Exponate. Herausragend ist, dass der Otto-Lilienthal-Verein Stölln in seiner Schau nicht der Versuchung verfällt, sich allein auf Lilienthals Fliegerei zu konzentrieren, sondern sie seinem breiten Schaffen Raum geben. Dabei spielt auch die enge Beziehung zu seinem Bruder Gustav eine Rolle, da er Otto Lilienthal bei vielen Projekten unterstütze und selbst als Architekt erfolgreich war. Da wird über Lilienthal den Maschinenbauingenieur berichtet, Lilienthal, den Inhaber von 20 Patenten, Lilienthal, den Theaterdramaturg, Lilienthal, den fortschirttlichen Arbeitgeber, der seine Angestellten am Gewinn teilhaben ließ, die Brüder Lilienthal, die gemeinsam Flugzeuge bauten und mit dem Anker-Steinbaukasten einen indirekten Vorgänger des Legosteine enwickelten. Insbesondere für den passionierten Segelflieger interessant ist eine Schau zahlreicher Segelflugzeugmodelle des Greizers Günter Binge aus Greiz. Mit einem der Vereinsmitglieder komme ich schließlich ins Gespräch und erfahre, dass die Bundesgartenschau noch einmal für einen Besucherschub gesorgt hat, nachdem das Besucherzentrum seit seiner Eröffnung 2013 von Touristen und Fluginteressierten gut angenommen wird.

Auf der Buga.
Auf der Buga.
Auf der Buga.
Auf der Buga.
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Fast überall in Stölln ist die Fliegerei präsent.
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Das Lilienthal-Centrum.
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Das Lilienthal-Centrum.
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Das Lilienthal-Centrum.
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Fliegerei wohin man schaut.
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Die LET vor dem Ausstellungsgebäude.
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Metallmodell des Lilienthal`schen Doppeldecker-Gleiters und ein Wandersegelflieger.
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Der Meister in Überlebensgröße. Graffiti kann schon toll sein.

Gegen 19.45 bin ich wieder auf dem Flugplatz. Der Grill brennt bereits, und als ich nach meinem Flugzeug frage zeigt sich einmal mehr die wahnsinnige Gastfreundschaft der Stöllner. „Steht in der Halle, ist doch ok so, oder?“ kommt es lapidar von irgendwem. Ich lasse mir die Hall noch einmal aufschließen, werfe meinen Krempel in den Schlafsack und darf in Zimmer 4 ein Bett belegen – ein Fehler, wie sich später herausstellt.
Bei totem Tier vom Grill lerne ich die Stöllner etwas besser kennen, wir tauschen uns über unsere Vereine aus, geflogene Flugzeugtypen und natürlich allerlei Erlebnisse. Das Projekt 100 Plätze – 100 Flüge findet durchaus Anklang, und die Idee, zur Buga zu fliegen, kommt ebenfalls gut an. Als es dunkel wird, baut einer der Stöllner sein Teleskop auf und ich kann abenso wie einige andere Flieger einen Blick auf Mond, Saturn und diverse Galaxien werfen. Gegen 23 Uhr ist auch Johannes, mit dem ich bislang nur telefoniert und alles abgesprochen hatte, wieder am Platz ein und wir sitzen noch bis nach Mitternacht am Lagerfeuer und erzählen. Die Nacht schlafe ich wenig bis gar nicht. Ob es an dem Erlebnissen des Tages liegt, die erst verarbeitet werden wollen oder am Schnarchen im Raum vermag ich nicht abschließend einzuschätzen. Gegen fünf Uhr ziehe ich in ein anderes Zimmer um und kann doch noch zwei Stunden pennen.

Frühstück, Boarding, Wartezeit, Rückflug

Um acht gibt es frische Brötchen mit Marmelade und Wurst, eine Tasse heißen Kräutertee und die Befürchtung, dass ich mir den Rückflug wohl klemmen kann. Hohe Schichtwolken, die sogar ein paar Tropfen Regen abladen, Kälte und kaum Sonne – die Laune sinkt. Der Wetterbericht lügt irgendwas von Cu-Thermik gegen Mittag. Mal gucken.
Gut zwei Stunden später beginnt der Flugbetrieb, und tatsächlich reißt der Himmel auf. Allerdings lässt die Thermik zunächst auf sich warten. Nachdem ich meinen Flieger gecheckt und mein Gepäck verstaut habe, mache ich mich nützlich und helfe beim Flugbetrieb mit. Die Stöllner haben viele Gäste zu versorgen und parallel läuft der Schulbetrieb. Viel zu tun also.

Wo soll der ganze Mist nur hin?
Der Flugbetrieb kommt in die Gänge.
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Johannes und Ich. Abschied von einem sehr netten Fliegerkameraden.
Startbereit.
Startbereit.

12.40 Uhr Uhr mache ich fertig zum Start. Jetzt aber streikt die Winde. Rund 20 Minuten sitze ich angeschnallt im Flieger – dank Schlafsack unterm Arsch recht bequem – und warte. Dann steige ich nochmal aus. 15 Minuten später heißt es, bereit machen. Ich soll als Versuchskaninchen den ersten Start mit der reparierten Winde machen. Um 13.20 Uhr strafft sich das Seil und die Else nimmt Tempo auf. Sekundenbruchteile später drücke ich den Knüppel bis zum Anschlag durch, um der Aufbäumneigung des Fliegers einigermaßen entgegen zu arbeiten. Der Fahrtmesser zeigt 150, und ich brülle ins Mikro, dass der Kollege langsamer schleppen soll. Kurz darauf passt es, und ich steige mit konstant 110 weiter. Mit 400 Metern fliege ich in die Südplatzrunde und finde tatsächlich Thermik, die mich langsam nach Oben trägt. Der Wind steht günstig und versetzt mich beim Kreisen in Zielrichtung. Besser gehts nicht.
Bei knapp 1000 Meter nehme ich Kurs Richtung Heimat, und zunächst sieht es gar nicht mal so gut aus. Nördlich des Gülper Seese gehen einige Kreis ins Leere, und ich fliege fatalistisch in Zielrichtung weiter, obwohl es mehr säuft als steigt. Irgendwass muss da noch kommen, denke ich und kreise so, dass ich immer einen Acker in Reichweite habe. Nahe Voigstbrügge habe ich schon fast aufgegeben und nur noch 450 Meter über grund, als das Vario Steigen anzeigt. Endlich, und jetzt aber richtig

Karstädt mit der künftigen Autobahnauffahrt.
Karstädt mit der künftigen Autobahnauffahrt.
Eine Elbschleife.
Eine Elbschleife.
Kurs Wittenberge.
Kurs Wittenberge.
Unter der Wolke ist es dunkel und kalt. Aber es steigt!
Unter der Wolke ist es dunkel und kalt. Aber es steigt!
Die Elbe bei Wittenberge.
Die Elbe bei Wittenberge.
Wittenberge.
Wittenberge.

. Mit einem einzigen Bart kurbele ich mich auf mehr als 1400 Meter hoch bis direkt unter die Wolken. Jetzt läuft es. Mit Nullsinken und Rückenwind flitze ich mit 120 bis 140 Sachen in Richtung Heimat, und leidglich über Glöwen nehme ich im Kreisen nochmal ein bisschen Steigen mit. Bei 1400 Metern überfliege ich das Stadtzentrum von Perleberg, melde mich an und höre Freudige Errregung bei meinen Kameraden. Geschafft, zu Hause. Allerdings, jetzt schon Landen wäre Quatsch, denn das Wetter ist super. So fliege ich noch nach Karstädt und von dort nach Wittenberge, bevor ich um 15.29 Uhr nach zwei Stunden und neun Minuten die Else mit einer langen Landung auf die Perleberger Bahn setze. Ok, zugegeben, ich setze sie dreimal auf die Bahn, aber dann steht sie auch.

Mein Co-Pilot ist immer dabei.
Mein Co-Pilot ist immer dabei.

Beim Einräumen werten wir den Tag aus, und alle sind zufrieden. Zum Schluss rüsten wir noch mit Unterstützung der Neu Gülzer den Piraten ab, mit dem es am kommenden Wochenende zum Oldtimertreffen nach Görlitz geht. Ein Hammerwochende geht zu Ende, und das nächste wirft seine Schatten voraus. Erster Wandersegelflug mit Erfolg absolviert, den achten Platz auf meiner To-Do-Liste angeflogen und bei bestem Wetter insgesamt knapp vier Stunden in der Luft verbracht. Quality time, im besten Sinne.

Im Schlafanzug zur Ruhe nach einem schönen Wochenende.
Im Schlafanzug zur Ruhe nach einem schönen Wochenende.

Von reaktivierten Oldtimern, glücklichen Fluggästen und einer Invasion aus Wittmund

Nach zwei Wochenenden Scheißwetter einschließlich Else einmal nach Lüchow und zurück fahren, ohne dort auch nur den Anhänger aufgemacht zu haben die ersten Beiden Augusttage für das erlittene Elend recht gut entschädigt.

Am Samstag ist zunächst Werkstattarbeit angesagt. Um 10 Uhr steht der Prüfer auf der Matte um den Bergfalken und die Rhönlerche abzunehmen. So werkeln und fummeln wir zwei Flieger auseinander und wieder zusammen, wiegen sie in Einzelteilen und am Stück, bestimmen die Schwerpunktlage. Zwischenzeitlich reinige ich den Piratanhänger, denn der soll den Roten Baron Ende August auf das 19. kleine Segelflug-Oltimertreffen nach Rothenburg-Görlitz bringen. Am Ende bekommen beide ihr ARC und von einem Tag auf den anderen steigt die Zahl unserer flugfähigen Doppelsitzer auf das dreifache. Die Vorhut der Fluggruppe des JG71 Richthofen aus Wittmund, die bereits am Vorabend angereist ist, packt kräftig mit zu, sodass um 14 Uhr allers erledigt ist und wir den Bocian und den Bergfalken raus aufs Flugfeld zerren können. Für 15 Uhr hat sich ein Fluggast angekündigt, der erste, der unsere Flugleiter-Handynummer genutzt hat. Lange genug habe ich argumentiert, dass wir am Start erreichbar sein müssen, damit Interessierte auch mal durchklingeln und fragen können, ob spontan ein Schnupperflug möglich ist.

Kaum draußen, arbeite ich meine Vorflugkontrollliste am Bocian ab, Bernd macht den Bergfalken startklar. Meine Schwester hilft mir bei der Ruderprobe, und als wir fertig sind steht auch der Fluggast parat. Der gesunde Respekt vor der Sache ist ihm deutlich anzumerken, und meine Einweisung in Fallschirm und Notabsprungverfahren scheint nicht gerade vertrauensfördernd. Aber die Neugier siegt schließlich, und kaum ist der Startcheck erledigt, das Seil straff und der erste Meter gerollt, kommt vom Rücksitz das bekannte Seufzer der Entspannung. Mit 480 Metern haben wir den nötigen Spielraum für Thermiksuche, und, Tatsache, im Gegenanflug der Südplatzrunde steigt es. Gemächlich kreisen wir uns hoch, und ich bin inzwischen in den Reisebegleiter-Modus verfallen, wenngleich sich die Erklärungen zunächst auf das Flugzeug und seine Instrumente beschränken. Für Bodenmarken fehlt mir noch der Nerv, erstmal heißt es, hoch kommen.

Bei 800 Meter ist Schluss, und wir nehmen Kurs auf Perleberg. Mein Gast fühlt sich pudelwohl, die Begeisterung steigt mit jeder Minute. Über Perleberg machen wir sightseeing, dann geht es noch einmal über den Henningshof und nach Sükow. Auch der Bergfalke ist inzwischen in der Luft und dreht seine Kreise. Nach gut 15 Minuten sind wir immernoch 600 Meter hoch, und da mein Gast noch ein bisschen was erleben will, drehen wir ein paar Steilkreise und spielen Achterbahn. Als ich den Bocian nach gut 20 Minuten wirklich butterweich auf die Graspiste setze kann ich mir sicher sein, jemanden glücklich gemacht zu haben.

Auch meine Schwester bekommt ihren Flug ab, und obwohl ich sie eigentlich als relativ belastbar einstufe, überrascht mich das unvermittelte Kichern von hinten doch. Beim Kampf auf der letzten Rille mit sonstwieviel Schräglage im Kreis scheint das Bauchkribbeln auf dem Rücksitz erheblich ausgeprägter zu sein als im stupiden Geradeausflug. Doch es reicht nicht, nach zehn Minuten sind wir wieder unten.

Während auch Frank sich noch einen Flug im Bergfalken gönnt, packe ich mein Geraffel zusammen und hänge mir die LS1 an, die wir am Abend zum Monnlightshopping in Wittenberge ausstellen wollen. Dazu ne fetzige Beleuchtung mit meinen alten Bühnenscheinwerfern, das sollte Eindruck machen und die Segelfliegerei auf dem Perleberger Platz auch wieder in den Fokus der Öffentlichkeit rücken.

Vor Ort erweist sich das ganze allerdings zunächst als kompliziert, denn mit dem Neun-Meter-Hänger zwischen Fahrradständern, Bäumen, Laternen und einem Grill- und einem Bierstand so zu rangieren, dass man da einen Rumpf rausziehen und Flächen anstecken kann, braucht seine Zeit. Dennoch haben wir die Else zu fünft in kurzer Zeit aufgerüstet und mit Flatterband abgesperrt. Ein Schild vom Aeroclub und ne Infotafel, komplettieren den Auftritt, und nach wenigen Minuten zeigt der ungewöhnliche Anblick eines Flugzeugs in der Innenstadt Wirkung. Die Leute bleiben stehen, gucken ungläubig. „Fliegt das wirklich?“ fragen nicht nur Kinder, sondern auch genug Erwachsene. Bernd und ich beantworten Fragen im Akkord, verteilen Infoflyer. Mit einsetzender Dämmerung schalten wir die Lampen an, und die LS1 erstrahlt in orange, violett, blau und grün. Es sieht schick aus und verfehlt seine Wirkung nicht.

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Der Bergfalke darf wieder fliegen. Im Hintergrund rüsten die Wittmunder auf.
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Mit der India Lima zum Moonlightshopping.
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Ein Segelflieger in der Innenstadt sorgt für Aufmerksamkeit.

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Am Sonntag geht es zur Abwechslung mal wirklich nur ums Fliegen. Um zehn holen sich die Wittmunder von Bernd die wesentlichen Informationen rund um den Platzbetrieb ab und im Anschluss gehts direkt raus aufs Flugfeld. Endlich steht wieder mal ordentlich Geflügel am Start. Neben unserem Pirat, dem Bocian und der gerade aufgerüsteten LS1 warten Twin Astir, Ka 8, ASK 13 und ASW 15 auf Thermik. Für mich steht zunäckst Putzdienst an, denn die beiden Showeinsätze der Else haben ihre Spuren in Form eine dicken Staubschicht hinterlassen. Außerdem haben zahlreiche Kinderhände unzählige Fingerabdrücke auf die Haube getatscht, sodass ich einmal den kompletten Rundumschlag mache. Nach einer halben Stunde glänzt der Flieger wieder und ich schiebe das Gerät an den Start.

Der Versuch an der Winde geht völlig daneben. Zum einen sitze beschissen, weil sich die neuen Spekon-Gurte noch schlechter fest ziehen lassen als das alte Gurtzeug. Außerdem säuft und säuft es, zumindest bis zum Queranflug. Hier macht der Variozeiger einen Satz nach oben und scheint bei drei Meter festzuklemmen. Das Popometer allerdings bestätigt die Anzeige, und ich fluche wild in mich hinein. Mit 150 Metern Resthöhe kurve ich in den Endanflug ein und konzentriere mich auf die Landung. Bislang kam ich mit der Else immer ziemlich weit, und ein erfahrener LS1-Pilot vom LSC Erftland hat mir empfohlen, einfach mal konsequent mit Tempo 85 bis maximal 90 anzufliegen. Bisher hatte ich immer zehn bis 15 km/h Fahrtreserve aufgeschlagen. Kaum sind die Klappen voll raus geht es abwärts. Ich nehme den zweiten Reiter der Bahn als Aufsetzpunkt und verfehle ihn nach kurzem Schweben nur knapp. Einigermaßen zufrieden rolle ich aus und lasse mich einsammeln.

Zurück am Start sehe ich, dass die anderen mehr Glück hatten. Auch Felix im Piraten zieht ruhig seine Runden und schraubt sich hoch. Mit einem schnellen Start scheint es abeer nichts zu werden, denn das letzte Seil wird gerade in den Bocian eingeklinkt und es warten noch zwei andere Flieger auf ihren Start. Ein Blick zur Remo und mir vergeht die Lust mich anzustellen.

Der Motor des Schleppflugzeuges brüllt auf und die LS1 beschleunigt. Kurz nach dem Abheben zieht sie nach links und will sich aufbäumen. Ich steuere kräftig dagegen, und als die Remo abhebt, positioniere ich mich oberhalb des Propellerstrahls. So machen wir zügig Höhe, etwa in der Mitte des südlichen Gegenanflugs stehen bereits 800 Meter auf der Uhr. Ich klinke aus und drehe nach rechts weg, die Remo zischt geradeaus weiter und geht direkt in den Sinkflug. Dank der Höhe finde ich gut Anschluss an die Thermik, aber das Steigen ist zerrissen und unbeständig. Südöstlich des Platzes schaffe ich es bis auf 1200 Meter und fliege ab in Richtung Wittenberge. Auf halber Strecke kommt mir Arndt mit der Ka8 entgegen. Im Gleichen Bart ist es frustrierend, wie er mich mit dem Schleicher-Drachen auskurbelt. Aber was solls, irgendwie bekomme ich auch die Else hochgehievt und halte mich auf dem Weg nach Wittenberge zwischen 1000 und 1200 Meter.

Über Wittenberge kreisend gucke ich Fußball, denn im Thälmannstadion ist eine Partie im Gange. Wenngleich der Ball aus einem Kilometer Höhe wirklich sehr sehr klein aussieht, ist er als weißer Punkt auf dem dunkelgrünen Rasen noch ganz gut zu erkennen. Ich schieße ein paar Fotos und ärgere mich einmal mehr darüber, dass ich durch die Sitzposition den Knüppel nicht zwischen die Beine klemmen und das Flugzeug so zum Fotografieren stabilisieren kann. Im Gegensatz zum Bocian kann ich die Else nicht mit der linken Hand fliegen, dafür bin ich zu grobmotorisch. Eine ordentliche Kamerahalterung mit Fernauslöser wäre freilich auch eine Alternative.

In Richtung Südost sehe ich eine gewaltige Rauchsäule aufsteigen, offensichtlich ein Feldbrand. Im Kreisen bemerke ich dasselbe nur ein paar Kilometer Nordwestlich von Perleberg. Meinem Reportertrieb folgend beschließe ich, hinzufliegen und vielleicht ein Foto aus der Luft zu machen. Allerdings reicht die Höhe noch nicht, sodass ich zähneknirschend Kreise drehe, wohl wissend, dass das Feld nicht ewig fackelt. Gute 15 Minuten später bin ich endlich da, aber die Action ist durch. Ein TLF gurkt noch über das Dampfende Feld und berieselt offenbar Glutnester aus dem Dachwerfer. Am Rand kämpfen einige Kameraden mit brennenden Bäumen, die, wie ich später erfahre, schließlich gefällt werden müssen, da auch 1000 Liter Schaum und 4000 Liter Wasser die Glut keinen Erfolg brachten. Auch zwei Wittmunder haben als Katastrophentouristen das Schauspiel aus der Luft beobachtet, sind aber inzwischen wieder weg.

Nach einer Fotosession und einer guten Viertelstunde ausgiebiger Brandortgafferei fliege ich zurück und kreise noch ein bisschen über Perleberg. Beim Abfliegen der Höhee sehe ich, wie die Remo den Bocian in die Luft zerrt. Im Funk höre ich, dass Frank sich seine F-Schlepps holt. Ich melde mich über Funk zur Landung an und frage nach, ob noch jemand die Else fliegen will. Da der Flugleiter das verneint, melde ich Position zur langen Landung und parke die Else direkt am Abzweig zur Halle.Gucke da, es geht doch mit dem Landen auf den Punkt…

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Die Elbe voraus.
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Blick in Richtung nordwest.
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Fußballgucken aus 1000 Meter Höhe. Erkenntnis: Die Anzeigetafel im Stadion ist zu klein.
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Blick auf Wittenberge.