Es ist ein ultra mieses Deja-vu, dass mich an die verkorksten Schweizer Meisterschaften 2019 erinnert. Es ist ein Punkt an dem ich einmal mehr überlege, ob es sinnvoll ist, mit einer Frustrationstoleranz auf dem Niveau eines Dreijährigen Wettkampfsport betreiben zu wollen. Eigentlich muss man selbstkritisch sagen: nein. Denn: So ich das weiter mache, werden immer wieder maximal frustrierende Momente kommen, und die jedes mal mit einem Teufelstanz über den Flugplatz, wildem Rumgebrülle und bösen Blicken in Richtung aller anderen Menschen zu quittieren, das kann man eigentlich keinem zumuten. Aber von vorn.
Bis zum Totalausraster lief meine erste Deutsche Meisterschaft im Segelkunstflug eigentlich gar nicht so mies. Den Salzmann-Cup über das Fronleichnamwochenende hatte ich mit nur zwei statt drei Wertungsflügen beenden müssen und war dennoch nicht letzter geworden. Das Training unter Anleitung von Schorsch Dörder in Walldürn schien tatsächlich was zu bewirken. Weniger Rumgeeier, klarere Linien, mehr Figurentrennung und sogar halbwegs anständige Positionierungen brachten in Ansbach zwei ordentliche Flüge mit 65 und 68 Prozent, und bei zwei weiteren Trainingssessions wurde klar, dass meine Free Known solide läuft. Ob es schlau war, mich dann gleich zur Deutschen Meisterschaft anzumelden? Fliegerisch sprach da sicher nichts dagegen. Aber dass mein Mindset so weit von „ausreichend“ entfernt sein würde, damit haber ich nicht gerechnet, obwohl ich es hätte wissen können und müssen.
Die Oschatzer erweisen sich als phänomenale Gastgeber. Was dieser Verein für die 24 Teilnehmer der Advanced und 15 der Unlimited samt ihrer Helfer auf die Beine stellt, geht weit über das übliche Maß hinaus. Das beginnt beim top präparierten Flugplatz, geht über ein maximal hilfsbereites und freundliches Team und endet bei überaus fairen Preisen für Essen und Getränke. Als wir unser Wohnmobil, dass Caravan Karius aus Leipzig mir und meinem Kumpel Christian zur Verfügung gestellt hat, auf dem Campingplatz abgestellt haben, stellt sich unmittelbar Urlaubsstimmung ein. Aus allen Ecken kommt der internationale Gruß für Freundschaft – ein ausgestrecker Mittelfinger mit dem Ausruf „Freundsaaaafd!“ – und man trifft die Leute, die sich üblicherweise auf Kunstflug-Events rumtreiben.
Technischer K.O. für die 8E
Den ersten Dämpfer gibt es am Donnerstag. Kaum ist mein Flugzeug zusammengesteckt, holt mich ein Problem von vor zwei Jahren ein. Allerdings ist das Quietschen des Querruderantriebs, das seinerzeit zunächst erträglich und dann mit etwas Sprühöl auf den mittleren Lagerbock der Querruderstange auch behoben war, jetzt apokalyptisch laut. Bereits in Puimoisson zwei Wochen zuvor – andere Geschichte, erscheint im aerokurier – war das Geräusch wieder aufgetreten, aber bei weitem nicht so wie in Oschatz, wo das Schaben plötzlich über den ganzen Flugplatz schallt. So fliegen? No way! Das Team 6B ist schnell zur Stelle und stimmt mit mir überein, dass da nur ein Lager kaputt sein kann. Und es ist natürlich der mittlere Lagerbock, an den man so gut wie gar nicht rankommt. Steffen bietet mir an, seine 6B zu fliegen, auf der der andere Acro-Lars die DM bestreitet wird, während die anderen auf dem Swift fliegen. So ist zumindest der Wettbewerb gerettet, und laut Steffen rollt die 6B – der Prototyp der SZD-59 – auch besser als die meisten anderen. Einen Start zum Eingewöhnen gönne ich mir noch, dann rüste ich meinen Hobel ab und bringe die linke Fläche in die Werkstatt.
Was dann folgt, tut nur am Anfang weh. Mit Endoskopkamera und Taschenlampen gehen wir dem Defekt auf den Grund und stellen unter dem ooooh und aaaah zahlreicher umstehender Piloten, die das Spektakel interessiert verfolgen, fest, dass sich eine der drei Rollen nicht bewegt und auch die Steuerstange ein Einlaufbild zeigt. Die Operation beginnt mit einem 3er Bohrer, und da es nicht das erste Mal ist, dass ich Löcher in mein Flugzeug bohre, hält sich der Schmerz in Grenzen. Gottseidank belassen wir es bei der einen „Erkundungsbohrung“ auf der Unterseite, denn am Morgen darauf gibt es von Markus Uhlig – dem Jantar-Spezi schlechthin – eine Detaillierte Reparaturanweisung für meinen Fall. Sein Tipp: Unbedingt die Oberseite aufschneiden, denn der Lagerbock ist auf der Unterseite aufgeharzt und nur so vernünftig zugänglich. Mit dem Dremel fräsen sich Steffen und Ines sukzessive durch meine Tragfläche, und als das Loch so groß ist, dass man das Lager erreicht, ist klar: die Rolle ist fest. Und mit der weiteren Analyse verfestigt sich die Meinung, dass sich diese Rolle in den 18 Jahren Flugzeugleben nie gedreht hat, weil die Aussparung dafür viel zu klein ist. Schlauerweise haben die Polen das Ding auch noch eingenietet, sodass wir das Loch in der Fläche so weit vergrößern müssen, bis Steffen die Nieten aufdremeln kann. Kaum purzelt die Rolle heraus, dreht sie sich im Lager. Die Beschaffung eines Ersatzteils entfällt also.
Über die folgenden Abende dokumentiere ich den Schaden, spreche mit dem Prüfer, baue die Rolle so ein, dass sie sich frei drehen kann und wende dann unter Anleitung von Steffen das an, was ich mal im Zellenwartlehrgang gelernt habe. Die Außenschale schleife ich weiter aus als die Innenschale, fertige aus Contizell-Schaum einen Deckel an und laminiere zunächst dessen Unterseite mit einer Lage Gewebe, bevor ich ihn mit Harz auf die Innenschale aufklebe. Final schäftet Steffen die Oberschale an und ich assistiere beim Neuaufbau mit Glasfasergewebe und Epoxidharz gemäß Belegungsplan. In diesem Zusammenhang geht ein großer Dank neben Steffen auch an Schempp-Hirth Flugzeugbau, die mir trotz Betriebsfeier noch am Donnerstag ein Paket mit Contizell, Gewebe und Epoxidharz samt Härter zusammengepackt und nach Oschatz geschickt haben. Zitat meines Vereinskamerads Nico: „Das wird Teuer, Tilo wollte mir gerade ein Steak braten!!“
Totalausfall bei der Unknown 2
Das Einkleben des Deckels ist am Vorabend meines Maximalausrasters erledigt. Die Nacht schlafe ich ultra beschissen, auch, weil ich nichtmal mehr die Zeit hatte, das Programm neu zu setzen, sodass ich es vernünftig lesen kann.
Drei Programme hatte ich bis dahin halbwegs solide in die Box gezimmert und mir nur in der ersten Unbekannten eine HZ gefangen, als ich ein Käseeck mit zwei Viertelrollen mit 60 Grad in den Himmel gestellt hatte und darin folgerichtig zum Tailslide verhungert bin. Die Free Unknown – ein völlig behämmertes Programm mit insgesamt elf Viertelrollen – lief ohne Null und sogar mit einem 73er Schnitt. Damit konnte ich insgesamt ganz gut leben, denn Rang 10 vor der zweiten Unbekannten für den ersten richtigen Wettbewerb in der Advanced, das schien mir ok.
Dann der Totalausfall. Das Programm ist dem Wettbewerb angemessen anspruchsvoll. Die erste Sequenz beginnt mit einer halben Rolle in den Rücken, dann folgt ein inverted Q-Loop mit einer vorgeschalteten Zweizeiten-Rolle Rücken in Rücken. Als ich aus der Rückenlage durch den Bogen ziehe, ist es zwischenzeitlich stockdunkel. Die Wechsellast von -1 auf +6 g (oder noch ein bisschen mehr) knipst nicht nur mir, sondern auch etlichen anderen die Lichter aus. Eine Teilnehmerin schießt sich sogar kurzzeitig in den g-LOC, sowas habe ich auch noch nicht erlebt. Dann folgt ein Abschwung aus dem Rückenflug mit angeschlossener halber Rolle in den Rückenflug, der wiederum in einen Aufschwung mit vorgeschalteter Zweizeitenrolle übergeht. Und hier liegt das Problem, denn den vergesse ich. Mir ist klar, dass Fahrt weg muss für den anschließenden Trudler, wie ich die abbaue entzieht sich meiner Erinnerung. Der Trudler geht in die falsche Richtung, ebenso wie das folgende (sehr schöne!!!) Weibchen sowie der Humpty in der Quersequenz. Erst hier wird mir bewusst, dass ich falsch herum fliege, also zimmere ich in 450 Metern Höhe mit 240 Sachen einmal komplett durch die Box, wende den Eimer und fliege die Kubanacht und den Q-Loop mit Rolle immerhin noch in die richtige Richtung. Dennoch: Das Ganze war ein Rohrkrepierer allererster Güte.
Schon im Landeanflug brülle ich das Cockpit zusammen, nach dem Ausrollen schleudere ich Kopftuch, Sonnenbrille und Handschuh in die Botanik, wühle mich aus den Gurten und werfe mich schreiend ins Gras. Wie es mir gelingt, bis zum Basecamp auch nur halbwegs die Beherrschung zu behalten ist mir ein Rätsel. Kaum am Campingplatz angekommen, verpasse ich meinem Passat noch einen wütenden Fußtritt in die Heckklappe und ziehe die Tür des Wohnmobils zu. Bis zum Abend rede ich mit keinem Menschen, und das ist auch besser so. Den Bewertungsbogen gucke ich mir gar nicht an. Warum auch? Die Gesamtwertung ist im Arsch, Top Ten Geschichte und damit das Ziel deutlich verfehlt.
Fakt ist, dass ich mir ernsthaft die Frage stellen muss, inwiefern Wettbewerbskunstflug in diesem Mindset sinnvoll ist. Denn irgendwann führt Ärger zu Fehlern, und Fehler sind nicht ungefährlich, wenn man mit bis zu 280 Stundenkilometern durch die Gegend dübelt…
Das letzte Programm fliege ich einfach nur stumpf ab. Die Noten? Keine Ahnung, die Wertungsbögen sind mir nur noch egal. Auch aufs Gesamtclassement gucke ich nicht mehr. Warum auch? Bei der Siegerehrung bin ich froh, dass es keine Urkungen für Plätze jenseits des Treppchens gibt, denn die hätte ich ziemlich sicher noch vor Ort in die blaue Tonne geworfen.
Gemischte Gefühle
Am Ende bleibt die Erinnerung an eine DM, für die ich im Kopf einfach nicht bereit war. Vielleicht ist es eine Option, künftig bis zum letzten Tag die Wertungen zu ignorieren und nur die Judge-Sheets abzuzeichnen, ohne sich die Noten anzugucken. Einfach für mich fliegen, als gäbe es die Punktrichter gar nicht. Allerdings kriege ich auch den Willen zu gewinnen einfach nicht aus de Kopf, und das gilt für alles, was ich anfange. Dass jemand wie Lokalmatador Richard bei seiner ersten DM wie eine Maschine Programme im hohen 70er-Prozentbereich in die Box zimmert und nebenbei auch noch den Posten des Sportleiters mit maximaler Souveränität bekleidet, das fuchst mich zusätzlich. Aus dem Stand Deutscher Meister in der Advanced – unfassbar. Nicht, dass ich es ihm das nicht gönne, sondern weil ich mich frage, warum es bei mir so scheiße läuft. Am Flugzeug lag es sicher nicht, denn mit der 6B hatte ich mutmaßlich noch ein besseres Sportgerät als mein eigenes für die Wettbewerbsflüge zur Verfügung.
Viel wichtiger als der ganze Frust, den ich nun mit nach Hause nehme, ist die Erinnerung an einen Fliegerclub, der sich für seine Gäste maximal ins Zeug gelegt hat. So viel Verve wie bei den Oschatzern habe ich selten erlebt. Wenn vom A-Schüler bis zur Pilotin im Ruhestand alle an einem Strang ziehen, dann muss dabei im Ergebnis ein Flieger-Festival herauskommen wie in diesem Sommer. Bei der Abschlussfeier, die ich noch immer mit nach unten getackerten Mundwinkeln irgendwie über mich ergehen lasse, revanchieren sich die Piloten angemessen für die Gastfreundschaft. Danke Spendensammlung über die Pilotensprecher kommen ein neuer Beamer, eine Tischtennisplatte und ein Volleyballnetz für die Jugend zusammen. Es bleibt also auch von uns etwas in Oschatz.
Und eins steht fest: Ich komme wieder!
EDIT: Zwei Wochen Später ist der Ärger verraucht und erneut die Erkenntnis aufgeploppt, dass a) die Kunstflug-Familie aufeinander aufpasst und sich hilft, b) Kunstflug vor allem im Kopf entschieden wird und c) die DM alles in allem doch Spaß gemacht hat.