Unterwegs im Shades-of-Grey-Flieger

Zweimal habe ich die Else über die Landesgrenze nach Niedersachsen gezerrt in dem Versuch, den Platz Lüchow-Rehbeck in meine „100 Plätze – 100 Flüge“-Liste aufnehmen zu können. Beim ersten Versuch kam immerhin ein nettes Kaffeetrinken mit Jasper und Sebastian heraus, aber das reichte mir nicht wirklich. Also am vergangenen Wochenende den Hänger nochmal dran, zuerst zu einer Hochzeit nahe Hannover und am Sonntag dann fliegen in Lüchow. Gut geplant, aber würde der Wettergott mitspielen?

Schon auf der Fahrt zur Hochzeit schifft es permanent. Ich fluche fürchterlich, aber die tolle Party, das Spanferkel und die Musiksession mit ehemaligen Bandkollegen entschädigen. Bei einer jungen Mathematiklehrerin kann ich mit dem Flieger mittelmäßig Eindruch schinden, auch wenn ich ihr nicht mehr als einen Blick in den Anhänger gewähren kann. Den Rumpf bei dem Sauwetter rausziehen kommt nicht in Frage. So erkläre ich der mit technischem Sachverstand gesegneten Dame wie das Ding in die Luft kommt und wie es da bleibt. Am Sonntag früh gibt es noch einen Deal mit der sechsjährigen Tochter des Brautpaares. Ich zeige ihr das Flugzeug, dafür zeigt sie mir die Zuckertüte, die sie zur Schuleinführung bekommen hat. Fair, wie ich finde.

Gegen halb zwölf nehme ich Kurs Lüchow, aber das Wetter ist gelinde gesagt beschissen. Wind und Regen, und das nicht zu knapp. Telefonisch erfahre ich von Yannick vom LSV Lüchow-Rehbeck, dass es dort einigermaßen geht und geflogen wird. Ich verwerfe den Gedanken, die Else wegen drei Platzrunden aufzurüsten und frage, ob der Blanik mit draußen ist. „Ja, der fliegt gerade…“ kommt zurück. Geilo, denke ich, denn die Mühle wollte ich schon immer mal unterm Hintern haben. Bei meinem letzten Besuch in Lüchow hatte es mir die Blechdose total angetan. Im Gegensatz zum äußerst erfolgreichen Vorgänger LET 13 ist der LET 23 eine ganze Spur hübscher anzusehen und leistungsmäßig etwas aufgepeppt und eignet sich – glaubt man der Autorin E.L. James – ganz vortrefflich, um junge Mädchen mit verborgener Neigung für SM-Spielereien zu beeindrucken. Im Buch enführt SM-Snob Christian Grey seine Anastasia nämlich auf einen Segelkunstflug mit einer LET 23, wohingegen im Film eine schnöde DG 1000 herhalten muss. Woher ich das weiß? Ich habs mir erzählen lassen… 😉

Der Empfang in Lüchow ist herzlich, und wir analysieren erstmal gemeinsam die Flugaktivitäten in diesem Jahr und das miese Wetter der letzten Wochen. Dann ist es so weit, und ich freue mich wie ein kleiner Junge, der ein lange gewünschtes Spielzeug bekommt. Fluglehrer Christoph drückt mir einen Schirm in die Hand und wir wühlen uns ins recht geräumige Cockpit. Zunächst mache ich mich mit den Bedienelementen vertraut. Knüppel- und Pedalwege, Trimmung, Klappen. „Ich würde an deiner Stelle den Landeanflug nicht mit dem gelben Dreieck machen…“ meint Christoph. Ich gucke auf den Fahrtmesser. „75?? Was ist los?“ „Ja, wenn du nach Dreieck anfliegst fällst du vor der Platzkante durch die Windböen runter wie ein nasser Sack. Flieg zwischen 90 und 100 an.“ „Sonst irgendwas, Aufbäumneigung oder so?“ „Nö, alles ganz normal, mit Knüppel-Neutralstellung wegsteigen lassen, nur satt vorhalten heute.“

Die Haube ist zu und das Seil wird straff. Nach kurzer Rollstrecke sind wir in der Luft, und es fühlt sich gut an. Zumindest Bocian-ähnlich. „Mehr vorhalten“, sagt Christoph, und als ich den Knüppel leicht nach links bewegen, greift er hinten rein als würde er ’nen Kreis einleiten. „So!“ Ok, die Lüchower sind Seitenwindlagen gewohnt, bei denen andere Vereine ihr Geflügel im Stall lassen. Knapp 450 Meter und es macht klick, der Blanik ist frei. Ein paar Kreise später ist die Höhe auch schon weg, und ich orientiere mich zur Landung. Durch den Windversatz bin ich fast über dem Platz und muss zusehen, noch ein bisschen weg zu kommen. Beim Landeanflug nehme ich zunächst die Motorbahn ins Visier und werde viel zu weit abgetrieben. In einer Kampfkurve richte ich den Vogel noch einigermaßen auf die Bahn aus und haue die Klappen raus. Beim Abfangen greift Christoph nochmal sanft ins Ruder, irgendwie war ich da wohl ein bisschen spät dran für Blanikverhältnisse. Das Geradeausrollen am Boden ist, wie angedroht, bei dem Seitenwind fast unmöglich, da der Blechflieger ein lenkbares Spornrad hat. Kaum drückt eine Böe gegen das Seitenleitwerk, giert er ganz gewaltig.

Mit breitem Grinsen steige ich aus dem Flieger und habe eigentlich keinen Ahnung, wie er sich nun fliegt. Dafür war die Zeit einfach zu kurz und auch die Wetterbedingungen zu heftig, um sich wirklich auf die Eigenheiten des Flugzeugs zu konzentrieren. Ich entwende den Lüchowern noch eine Tasse Früchtetee und quatsche am Start mit den Piloten. Dann werfe ich nen Zehner in die Kasse und verabschiede mich. Trotz des uns umgebenden Sauwetters – tatsächlich hatte der Platz in Lüchow das blaue Loch erwischt – ein geiler Tag. Zehnter Platz, Blanik geflogen und nette Leute getroffen. Danke an die Lüchower!

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LET 23 Blanik im Windenstart.
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LET 23 Blanik im Windenstart.
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„Ich fliege einen LET, der in der Sonne glänzt…“
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Landeanflug.
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Der Kamerad hat das Abfangen besser raus als ich. Dafür war meine Landung kürzer.
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Mit Dirk von den Lüchowern.

Mit Baby, Slingsby und Condor im Bart

Wenngleich wir mit unserer Else – in die ich mich, zugegebener Maßen, so langsam doch ein bisschen verliebe – ein Flugzeug haben, mit dem man in der Clubklasse einigermaßen mitfliegen kann, besteht die Perleberger Flotte doch im Wesentlichen aus Oldtimern. Und eigentlich reiht sich die Else da genau mittig ein, zwischen Rhönlerche und Bergfalke, die beide älter sind, und Pirat und Bocian, beide jünger. Da liegt es natürlich nahe, die alten Holzdrachen in den Anhänger zu packen und nach Rothenburg-Görlitz zu düsen, zum 19. kleinen Segelflug-Oldtimertreffen. Wahrscheinlich unter Einfluss von Alkohol und/oder der Euphorie eines besonders schönen Flugtages ausgeheckt, war der Plan auch nüchtern noch ganz witzig, sodass Frank und Felix den Bergfalken für den Ritt vorbereiteten und ich mich um den Piraten kümmerte.

360 Kilometer einfache Strecke, und das mit Anhänger. Schön ist anders, zumal ich am Freitag erst nach 22 Uhr losfahren konnte, da ein Kollege seinen Abschied feierte. Zu meiner eigenen Überraschung war ich erschreckend ausgeruht und brachte die Tour in rund fünfeinhalb Stunden hinter mich. Die Probleme begannen erst mit meiner Ankunft am Flugplatz. Natürlich hatte ich vergessen, beim Flugleiter anzurufen und mir Instruktionen zur Ankunft zu holen, und so stehe ich um 3.45 Uhr am Flugplatz und habe keine Ahnung, wo ich hin muss. Die Unterlagen zum Selbstbriefing bringen mich nicht wirklich weiter, denn dichter Nebel sorgt für eine Sichtweite von um die 30 Meter, und das auf einem Flugplatz, der Flächenmäßig so groß ist, dass darin vermutlich alle anderen Plätze, auf denen ich bisher geflogen bin, locker reinpassen würden. Nach dreimal verfahren finde ich schließlich Schilder, die mich zur Flugleitung führen. Ich parke neben zahllosen anderen Anhängern und laufe einmal quer über den Platz. Hinter dem Bunker mit dem Tower obendrauf sehe ich das Auto der Naumanns mit dem Anhänger des Bergfalken dran. Ok, geschafft. Klogang, Isomatte im Kofferraum platzieren und pennen. Anreise gemeistert.

Beim Briefing am Samstag die erste Überraschung. Ich betrete den Raum und von irgendwem kommt der Satz „Ah, der rote Pirat…“ Eigentlich ganz schmeichelhaft, wenn man mal nicht mit „Du bist doch der, der in Wershofen die LS1 ohne Rad…“ empfangen wird. Die Ansprache von Flugleiter Volker Wollert ist kurz und sachlich, es gibt einige Hinweise zu den Höhenschlepps. Allein beim Gedanken daran, dass die hier 3200 Meter Seil auf dem Platz auslegen und dich auf weit über 1000 Meter Höhe schleppen, wird mir schwindelig. Die Wesentlichen Infos wie Frequenzen, Ausweichplätze und Pilotennummer gibts im kniebrettauglichen A6-Format, wobei mir wieder einmal auffällt, dass ich mir endlich auch mal ein Kniebrett zulegen sollte.

Dankenswerter Weise dürfen wir am Start aufrüsten und entgehen so der Höchststrafe, die Flieger für den Startaufbau 18 ziemlich genau zweieinhalb Kilometer über den Platz ziehen zu müssen. Und das bei brütender Hitze, die uns beim aufrüsten für die nächsten zwei Stunden nahezu völlig durchgrillt. Klar hätte das ganze viel schneller erledigt sein können, aber es gibt viel zu viel zu gucken und zu quatschen. Vor allem die wunderschöne Foka 4, mit der Ullrich Hötling angereist ist, lenkt mich ziemlich ab. Es dürfte kaum einen Flieger geben, der von der Eleganz her mit der SZD 24 mithalten kann. Da stimmt einfach alles, und das Gerät war seinerzeit so erfolgreich, dass es 1964 von Jan Wroblewski pilotiert als bisher einziges Standardklasseflugzeug den Weltmeistertitel in der Offenen Klasse erringen konnte.

Irgendwann am frühen Nachmittag habe ich den Piraten zusammengepuzzelt und gecheckt. Bei der Sitzprobe kann ich mir beim besten Willen nicht mehr erklären, warum ich den Flieger mal der LS1 vorziehen wollte. Auch das Kissen unter dem Hintern ist nur psychologisch wirksam. Während ich auf meinen Start warte, schlendere ich die Schlange von Flugzeugen entlang. Hier steht wirklich Segelfluggeschichte: Eine Rhönschwalbe, ein Rhönadler, ein Condor,  ein kurioser side-by-side-Doppelsitzer vom Typ Slingsby T21, ein wunderschöner, im Lufthansa-Design gestalteter IIIer Bergfalke, diverse Babys und drei Foken (oder wie sonst schimpft sich die Mehrzahl von Foka?), davon zwei vierer und eine fünfer… Wirklich Wahnsinn, wa da an Historie aufgefahren ist. Einmal mehr wird mir meine Leidenschaft für die unfassbar schönen und dynamisch gestalteten Fokas bewusst, wohingegen ich mit vielen Schleicher-Oldies wie der K6, der Ka8 etc. nicht wirklich was anfangen kann. Nunja, Geschmackssache halt.

Die Windenstarts in Rothenburg sind schon beim Zuschauen irre. Die Kameraden vom RLSV schmeißen wirklich 3200 Meter Kunststoffseil auf ihren Platz und feuern Einsitzer damit auf bis zu 1470 Meter. Doppelsitzig liegt der Rekord nur bei 1400 Meter, aber damit lässt es sich auch irgendwie leben. Als ich den Start von Frank und Felix im Bergfalken beobachte, klappt mir die Kinnlade runter. Es geht einfach nur hoch, hoch, hoch. Aus ihrem Siebenkommaundlitervauacht haben die Rothenburger irgendwas weit jenseits der 400PS rausgekitzelt, sodass es auch wirklich nie an Leistung mangelt. Der Pulst steigt. Kaum drin im Flieger klickt das Seil in die Kupplung und es geht los. Aber so spektakulär, wie es von außen aussieht, ist es dann gar nicht. Der Schlepp ist völlig ruhig, nur dass irgendwann der Boden auch beim Blick in die Flächen aus der Sicht gerät. Die Nadel am Höhenmesser geht über die 600 hinaus, hier wäre schon bei den meisten F-Schlepps schluss.  700, 800. Bei 860 Meter macht es klick und der Pirat ist frei.

Thermik scheint es in Rothenburg überall zu geben, denn es steigt nur. Und dabei kommt man sich vor, wie wenn man in einem Museum fliegt. Vor lauter Guckerei angesichts des historischen Geflügels überall um mich rum muss ich mich ermahnen, mich auch aufs Fliegen zu konzentrieren. Es macht einfach nur irre Spaß, auch wenn eine Inversion alle Ambitionen bei rund 1100 Meter einbremst. Aber wegfliegen wollte ich eh nicht, und so mache ich mir einen Spaß daraus, die Flugzeuge, die mich interessieren, anzufliegen und mir von allen Seiten anzugucken. Besonders das oder die Slingsby ist schon ein drolliger Flugkörper, und wieder schmelze ich dahin, als ich sehe, wie eine der schnittigen Fokas durch die Luft flitzt.

Die Landschaft unter mir ist eine Mischung aus Wald, Feldern, einem Truppenübungsplatz und Braunkohletagebauen. Drei riesige Kraftwerke sind in Sichtweite, Boxberg, Schwarze Pumpe und Jänschwalde. Angesichts der wüsten Tagebaue und der dicken Wasserdampfwolken, die an der Inversion bei rund 1200 Metern Höhe breit laufen, keimt in mir die Frage auf, wie lange wir die Luft, die wir ja nicht nur zum Fliegen, sondern auch irgendwie zu Atmen brauchen, noch mit dem Kohlendreck vollpaffen und die Landschaft zuwecks Brennstoffgewinnung umpflügen wollen…

Eine Stunde und 40 Minuten dauert mein Flug über Rothenburg. Lange Landung und dann unfassbar langes latschen zum Hangar und die ganzen Flieger einschachteln. Gemeinsam geht das aber erstaunlich gut.

Am Abend gibt es ein sehr leckeres gemeinsames Abendessen mit allen angereisten Teams, und es ist Zeit, ins Gespräch zu kommen. Vor allem mit Gunter aus Taucha, der mit einem Baby da ist, erzählen wir lange. Im Schwatz mit Joachim Schulz vom Aero-Club Schwarzheide lassen wir den Tag ausklingen. Am Sonntag nehme ich Jürgens Angebot an, mir einmal seine Foka 5 anzuziehen. Tatsache, der Flieger hat was, und es liegt sich saubequem im Cockpit. Klar isses eng, aber das spornt wenigstens an, es mit der Völlerei nicht zu übertreiben.

Nach nochmal anderthalb Stunden Flug am Sonntag, in dem die letzten 20 Minuten wildes Lufthaschen mit Frank und Felix im Bergfalken sind, packen wir unsere Flieger zusammen und düsen gen Heimat. An dieser Stelle einen herzlichen Dank an Volker Wollert und sein Team vom Rothenburger Luftsportverein. Es war ein tolles Wochenende. Windenschlepp auf 900 Meter, viel gesehen, zehnter Platz auf meiner Liste. Daumen hoch!

 

Perfekt ausgestattet fürs Oldtimertreffen.
Perfekt ausgestattet fürs Oldtimertreffen.

 

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Zweimal Perleberger Luftfahrtkompetenz.

 

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Das Fünf-Teile-Puzzle für große Kinder.

 

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Natürlich ist auch mein Co-Pilot wieder dabei.

 

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Endlich in der Luft. Gerade Mal 250 Meter Startüberhöhung 😉

 

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Immer was zu gucken. Mit drei anderen im Bart.

 

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I want to fly away, yea, yea, yea…

 

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Immer diese Miniaturflugplätze…

 

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Einfach irre die lange Bahn…

 

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Der Bergfalke im Landeanflug.

 

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Hol’s der Teufel im Trike-Schlepp.

 

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Nachwuchspilot.

 

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Schachtelei am Abend.