Gedenken und Scham

„Was steht in der geheimen Krankenakte des Amok-Piloten?“

Diese Schlagzeile, garniert mit dem vollständigen Namen des Co-Piloten von Germanwings-Flug 4U9525 ist heute auf der Internetseite der BILD-Zeitung zu lesen, dazu ein unverpixeltes Foto des Mannes, der die Maschine mutmaßlich mit Absicht zum Absturz gebracht hat.

An der kollektiven Anteilnahme wollte ich mich in diesem Blog eigentlich nicht öffentlich beteiligen, sondern mir meine eigenen Gedanken machen, aber das, was um das Ereignis herum gerade passiert, das, was von meinen Berufskollegen daraus gemacht wird, das kann man schwer unkommentiert stehen lassen. Die Berichterstattung ist an einigen Punkten derart aus den Fugen geraten, dass man nur noch den Kopf schütteln und sich fragen kann, ob die mit dem Thema befassten Journalisten noch bei Verstand sind.
Zunächst sind Flugzeugabstürze natürlich immer ein Thema, irgendwann in meinem Studium habe ich mal was von Nachrichtenfaktoren wie Negativität, Betroffenheit etc. gehört. Ich kann also sehr gut nachvollziehen, warum das Ereignis zu einem Thema, gerne auch zu einem großen Thema wird. Allerdings war schon am Dienstag und Mittwoch fraglich, inwiefern die Breite der Berichterstattung dem Thema angemessen ist, vom sensationellen Ausschlachten mal ganz abgesehen. Reißerische Schlagzeilen wie „Todesflug“ dominierten allerorten die Titelseiten, und leider hat auch meine eigene Zeitung der Versuchung nicht widerstehen können. Das ist eine Entscheidung der Chefredaktion, die man akzeptieren, aber nicht teilen muss.
Dass das Ereignis tragisch ist, weil viele Menschen auf einmal gestorben sind, weil 75 Deutsche unter den Opfern waren, weil zwei Schulklassen ausgelöscht wurden, steht außer Frage. Doch noch bevor sich andeutete, dass dieses Unglück möglicherweise vorsätzlich herbeigeführt wurde, stimmten die Relationen nicht. Bei aller Tragik, die 150 Todesopfer mit sich bringen, steht die Berichterstattung in keinem Verhältnis zu wirklichen Katastrophen wie beispielsweise Wirbelstürmen, Überschwemmungen oder Erdbeben, bei denen häufig ein vielfaches an Menschen umkommt. Überhaupt scheinen Medien bei Flugzeugabstürzen besonders extrem zu reagieren, vielleicht auch aus dem Grund, weil Fliegen für sicherer gehalten wird, als es tatsächlich ist.

Laut einer Analyse des statistischen Bundesamtes, die den Zeitraum 2005-2009 untersuchte, starben je eine Milliarde Personenkilometer in Deutschland in diesem Zeitraum knapp drei Menschen bei Autounfällen, 0,17 bei Busunfällen, 0,16 bei Straßenbahnunfällen, 0,04 bei Eisenbahnunfällen und exakt 0,0 bei Flugzeugunglücken. Nun wird allerdings darauf hingewiesen, dass im betreffenden Zeitraum kein Flugzeug in Deutschland abgestürzt ist. In diesem Fall hätten die Zahlen vermutlich ein wenig anders ausgesehen. Insgesamt dürfte Fliegen etwas weniger gefährlich sein als Auto- und Busfahren. Dennoch wird es offenbar als so sicher eingeschätzt, dass Unfälle mit Flugzeugen eine weit höhere Beachtung finden als die zahllosen Verkehrstoten. Auf der anderen Seite ist beim Fliegen im Unglücksfall die Überlebenschance einfach weit geringer als bei anderen Verkehrsmitteln.

Ich bin der Meinung, dass bereits die Anfangsberichterstattung in dieser epischen Breite nicht angemessen war. Die Kanzlerin und etliche Minister haben ihren Kommentar dazu abgegeben und es wurde kollektive „Trauer“ verordnet (trauern können meiner Meinung nach nur Angehörige, Außenstehende können vielleicht Anteil nehmen…) und die Medien berichteten in stundenlangen Sondersendungen und auf Sonderseiten.

Das zweite Mal haben die Medien versagt, als erste Spekulationen zur Unfallursache laut wurden. Wie alt war das Flugzeug? Ist der A320 übertechnisiert? Ist wieder ein Sensor eingefroren und hat einen Computerausfall verursacht? Niemand wusste am Dienstag Genaueres, aber alle haben dieses Nichtwissen unters Volk gestreut. Jeder, der hobby- oder berufsbedingt etwas Einblick in den Aufwand hat, mit dem Instandhaltungsprogramme von Luftfahrzeugen betrieben werden, dem musste bei der Berichterstattung der Kamm schwellen. Fakten darstellen und Spekulationen weglassen, das wäre angemessen gewesen, aber genau das hat den Medien nicht gereicht.
Mit der Pressekonferenz zur Auswertung des Cockpitstimmenrekorders, die den Verdacht des bewusst herbeigeführten Absturzes zumindest ins Spiel brachte, gab es schließlich kein Halten mehr. Dass auf der PK der vollständige Name des Co-Piloten fiel, ist schon ein Fauxpas, der nie hätte passieren dürfen. Dass sich dann aber so viele Berufskollegen – auch von als seriös bekannten Medien – auf genau dieses Detail stürzen, es bis aufs Letzte ausschlachten, damit gegen so ziemlich jedwede Sorgfaltspflicht, die den Medien als vierte Gewalt auferlegt ist, verzichten, das sorgt für Scham in Bezug auf den eigenen Berufsstand.
Es ist alles andere als erwiesen, dass es genau so gewesen ist, dass der Co-Pilot absichtlich gehandelt hat. Auch die Medien haben gefälligst das Ende der Untersuchung abzuwarten, bevor eine derartige Vorverurteilung praktiziert wird. Die Familie des Co-Piloten, seine Fliegerkameraden, sie alle werden nun genauso wie der Angehörigen der anderen Opfer in den Strudel des Unglücks hinein gezogen, und zwar weit mehr, als sie durch den Verlust der ihnen nahe stehenden Menschen ohnehin betroffen gewesen wären. Und am Ende bleiben jene mit ihrem Schmerz allein, während die Pressemeute zur nächsten Katastrophe weiter zieht.

Das, was auf Facebook gerade passiert, ist zum einen erschreckend, zum anderen erfreulich. Gegen den Co-Piloten gibt es eine Hetzseite, die ihn zum Massenmörder stilisiert und mehr Rache als Gerechtigkeit fordert. Andererseits formiert sich vielfach Widerstand gegen das Handeln der Medien, werden Stimmen laut, die Sachlichkeit und ein Ende der Spekulationen fordern. All jene, denen die Berichterstattung zu weit geht, kann ich nur bitten, ihre Meinung den Redaktionen laut kund zu tun, Emails und Leserbriefe zu schreiben und von den Journalisten zu verlangen, ihr Handeln zu überdenken. Ich weiß nicht, ob es helfen wird, aber ich bin sicher, dass es besser ist, als gar nichts zu tun.

Auch ich habe mich beim Presserat beschwert, habe die eingangs zitierte Schlagzeile angemahnt.

„Die Berichterstattung der Bildzeitung in diesem Zusammenhang ist absolut indiskutabel (ok, gewundert hat es mich nicht wirklich). Man kann die Nennung des Pilotennamens natürlich mit Richtlinie 8.1 rechtfertigen, aber der Rattenschwanz, der da dran hängt, gebietet, den vollständigen Namen nicht zu nennen. Dabei sollte der Fokus insbesondere auf Richtline 8.2 (ja, auch der Pilot ist in gewisser Art Opfer der Umstände und nicht allein Täter) und Richtlinie 8.4 (sobald der Name raus ist, sind die Angehörigen Freiwild, egal ob deren Namen auftauchen oder nicht) liegen. Weiterhin wird völlig außer Acht gelassen, dass bislang keineswegs abschließend bewiesen ist, warum die Germanwings-Maschine abgestürzt ist. Bild betreibt hier eine Vorverurteilung im Sinne der Richtline 13.1, denn mehr sozialer Pranger als das, was sich die Kollegen da geleistet haben, geht einfach nicht mehr. Ich erspare mir jetzt, hier noch auf die Sensationsberichterstattung einzugehen. Fotos von Opfern und reißerische Texte in nahezu allen Beiträgen, die rund um die Katastrophe erschienen sind runden das desolate Bild ab, das die BILD hier abliefert.“

Ich bin in Gedanken bei den Opfern der Tragödie und hoffe, dass ich, meine Fliegerkameraden und natürlich meine Familie und Freunde stets heil runterkommen.

EDIT: Wer glaubt, der Wahnsinn sei nicht steigerbar, der suche doch bitte im Internet nach dem Pamphlet, mit dem die Bildzeitung begründet, warum sie den vollen Namen und das Foto des Co-Piloten abdruckt. Da ekelt es mich einfach nur.

Nachdem nun lizenzmäßig alles in trockenen Tüchern ist, gilt es, Pläne für die Saison 2015 zu schmieden. Zwei essenzielle Ziele habe ich mir für das Jahr gesetzt: Die Silber-C fliegen – also fünf Stunden Dauerflug, Höhengewinn von 1000 Meter und mindestens 50 Kilometer als gerade Strecke. Das sollte grundsätzlich irgendwie drin sein. Zweites Ziel ist es, wenigstens ein Wochenende Wandersegelflug zu machen. Heißt konkret: Den Gepäckraum des Piraten mit Zelt, Schlafsack, Isomatte, Kochgeschirr und Proviant vollstopfen und von Perleberg aus einen anderen Platz ansteuern, dort übernachten und am nächsten Tag zurück fliegen. Realistische Ziele wären beispielsweise Kyritz, Uelzen, Salzwedel, Neustadt-Glewe oder Pinnow. Voraussetzung ist freilich, dass die Kameraden am anderen Platz am Sonntag auch Flugbetrieb machen, damit ich wieder weg komme…

Das erste Highlight der Saison dürfte – vom Anfliegen mal abgesehen – die Bad Breisinger Segelflugwoche werden. In der Segelfluggruppe auf Facebook war ich zufällig auf die Einladung gestoßen. Da explizit auch Anfänger im Streckenflug zu diesem Wettbewerb eingeladen sind und die Veranstaltung genau in meinen mir ohnehin zwangsverordneten Urlaub fällt, wäre es töricht gewesen, diese Chance auszuschlagen. Noch bevor ich die Modalitäten im Detail erfasst und mit meinem Verein in Perleberg Rücksprache gehalten hatte, war meine Anmeldung abgeschickt und registriert. 90 Euro Startgeld, 25 Euro fürs Camping und Start im F-Schlepp für 30-35 Euro, das klang verlockend. Ich hab mal rotzfrech die LS1 als Flugzeug angegeben, ohne zu wissen, ob ich den Bock überhaupt mitnehmen darf oder nicht. Ich würde da ja auch schmerzfrei mit dem Piraten auflaufen, aber bei 130 Kilogramm Mittelflügel hätte ich spätestens am dritten Tag bei allen anderen Anwesenden verschissen, vom Drama des Abrüstens auf einem Feld infolge einer Außenlandung gar nicht zu reden.
Immerhin gaben mir meine Vereinskameraden Rückendeckung. Frank meinte, so käme die „Else“ wenigstens mal richtig in die Luft, und auch Fluglehrer Bernd war der Meinung, dass ich noch genug Zeit hätte mich auf sie einzufliegen.

Am vorvergangenen Wochenende war dann Putzen angesagt, sodass der Vogel von Außen wieder richtig strahlte, und unter der Woche habe ich immerhin mal eine Sitzprobe gemacht. Fazit: Man sitzt in dem Ding einfach nur scheiße. Das hatte ich zwar schon mehrfach gehört, aber eben nie selber ausprobiert. Bis zum Saisonstart heißt es also, mit Decken unterm Arsch und Rückenkissen irgend sowas wie Bequemlichkeit in das Cockpit zu bringen. Außerdem muss sie technisch noch einmal durchgesehen und das Flarm aus dem Piraten eingebaut werden. Auf Strecke mit 20 anderen Flugzeugen will ich auf die Heule dann doch nicht verzichten.

Nächster Punkt war der Anhänger für die LS1. Der TÜV war bereits Mitte 2014 abgelaufen, und wie es technisch um das Gefährt stand, konnte ich nur mutmaßen. Allerdings hatte meine Drohung, mir einen Termin beim Prüfinschenöööör zu holen, offenbar meine Kameraden aufgeschreckt. Frank hatte das Stützrad und die Handbremse gangbar gemacht und Horst den Hänger aus der letzten Ecke der Halle gezerrt und direkt ans Tor gestellt. Nachdem ich tatsächlich die Papiere sauber abgeheftet aufgefunden hatte, stand der Fahrt zum TÜV nichts mehr im Wege.
Sicherheitshalber hat mir der Ingenieur eine Visitenkarte mit Termin, Kennzeichen und Siegel mitgegeben, für den Fall, dass mich doch ein Ordnungshüter anhält und den abgelaufenen TÜV beanstandet. So ging es heute um 19 Uhr auf den Flugplatz, und als ich dort ankam, war es natürlich stockfinster. Dank Kopflampe ohne Blessuren zwischen den Flug- und Fahrzeugen durchgemogelt, Tor aufgeschoben und den Hänger an den Haken genommen. Beleuchtungscheck, Bremstest, Luftdruckkontrolle. 1,5 bar schienen zu wenig, gut ein Bar nachgelegt und los gings. Wenn man das erste Mal rund acht Meter Trailer hinter sich herzieht, ist das schon komisch, aber das im Dunkeln zu probieren grenzt gleich mal an Größenwahn. Irgendwie hab ich es dann aber doch ohne Schaden an Zäunen, Torpfosten oder gar am Anhänger geschafft, vom Platz runter auf die Straße zu kommen, und kaum auf der B189 ging es mit Tempo 85 entspannt nach Wittenberge. Ich bin mal schwer gespannt, ob ich das auch noch entspannt finde, wenn ich 550 Kilometer bis in die Pfalz auf den Flugplatz Mönchsheide fahre…
Wie mit dem Tüffonkel abgesprochen hab ich ihm den Hänger einfach auf den Hof gestellt und dort mit ner Eisenkette angeschlossen, damit das Ding auch ja keiner klaut. Je nachdem wie die Diagnose nun ausfällt, kann die Werkstatt meines Vertrauens gleich nebenan ggf. notwendige Reparaturen machen, damit die Else sicher in die Pfalz kommt.
Am Wochenende wird dann wohl nochmal Werkstattarbeit anstehen, um das Geflügel fit für die Saison zu machen. Am 28. wird in Taucha aufgerüstet, und zum Anfliegen einen Tag später will ich da Präsenz zeigen – für den Nachmittag ist eine Schleppmaschine angekündigt, und ich brauche dringend fünf F-Schlepps. Hintergrund ist, dass die Else nur eine Schwerpunktkupplung hat, und um an dieser hinter dem Schleppflugzeug zu starten, werden fünf Schlepps in den letzten sechs Monaten verlangt… Hoffen wir, dass es klappt…