Geschafft…

Tatsache, ich habe die theoretische Luftfahrerprüfung erfolgreich hinter mich gebracht. Sechseinhalb Stunden im Computerpool der Landesdirektion Sachsen in Dresden geschwitzt, gebetet und sonstwie Beistand erjammert. Und es scheint geholfen zu haben.
Vorausgegangen war dem ein Lernmarathon wie ich ihn seit meiner Abschlussprüfung im Studium nicht mehr erlebt habe. Gut, damals waren es sechs Wochen, dieses Mal nur eine, aber immerhin. Der Druck, die Prüfung zu bestehen ergab, sich gleich aus mehreren Komponenten: Erstens hatte ich die vereinsinterne Theorieprüfung großzügig ausfallen lassen, da ich ja ohnehin in diesem Frühjahr den Test in Dresden absolvieren wollte. Zweitens sind nach meiner Anmeldung sukzessive alle Folgetermine komplett voll geworden, Wiederholung also erst Mitte des Jahres möglich. Drittens: Ab Mitte des Jahres gilt nicht mehr die Deutsche LuftPersV, sondern die JAR-FCL 1. Hätte geheißen: In einem Fach durchgefallen, ganze Prüfung nochmal machen. Nunja, Motivation genug also…
Während sich menschliches Leistungsvermögen, Aerodynamik, Technik, Verhalten in besonderen Fällen und Luftrecht noch einigermaßen reaktivieren ließen und die Trefferquote bei OpenPPL nach drei Durchgängen ausreichte, war zunächst Meteorologie ein Batzen an Fachwissen, der sich erstmal wieder angeeignet werden wollte: Warm- und Kaltfronten, Luftmassenbewegungen, Entschlüsselung von Luftfahrtmeldungen wie TAFs, Wolken- und Niederschlagsarten, Konvektions- und Advektionsprozesse und der Zusammenhang von Lufttemperatur, Luftefeuchte und Taupunkt – kurzum die Laune lag im Keller. Der Schlag traf mich dann allerdings bei Navigation, weil das was ich vor Jahren mal im Theorieunterricht bezüglich der verschiedenen Kurse (rechtweisend, missweisend, Steuerkurs, Kompasskurs) sowie deren Zusammenhänge mit dem Wind, über Streckenberechnungen, Gleitzahlen usw. usf. gehört hatte war komplett aus dem Speicher gelöscht. Winfried Kassera wurde plötzlich zu meinem besten Freund, und step by step versetzte ich mich selbst wieder in die Lage, anhand einer ICAO-Segelflugkarte mit Lineal, Geodreieck und Zirkel unter Berücksichtigung des Wetterberichts und der Leistungsdaten des Segelflugzeuges einen Flug komplett mit Kursen und Fugzeiten zu planen. Manche Sachen wie den Kompassbeschleunigungsfehler habe ich wirklich versucht zu verstehen, allerdings ließ der sich nicht plausibel erklären (Dank Wikipedia weiß ich jetzt, es hängt mit der Trägheit und nicht mit der auf das Kompensationsgewicht an der Nadel wirkenden Schwerkraft zusammen).
Nunja, vorab, der Aufwand hat sich gelohnt. Entgegen meines sonst eher hektischen Naturells habe ich mir Zeit genommen, alle Fragen beantwortet und dann noch ein zweites mal gelesen und die Antworten überprüft. Mindestens eine Antwort habe ich dabei noch korrigieren können. In Technik haben mich die ersten fünf Fragen völlig unvorbereitet getroffen, da es hier um diverse Wasserballastberechnungen an einem Schempp-Hirth Discus ging, und das anhand von Diagrammen, die ich noch nie gesehen hatte… Nunja, gerettet haben mich hier sicher die Fragen rund um die Motorentechnik. Auch Aerodynamik war nicht wirklich einfach, vor allem der Unterschied zwischen aerodynamischer und geometrischer Schränkung wollte mir einfach nicht einfallen. Da die zwei Fragen inhaltlich gleich waren hab ich einfach einmal a, einmal b gewantwortet, so musste es wenigstens einmal stimmen. Auch zwei Fragen zur Änderung der Überziehgeschwindigkeit im 60° Kurvenflug konnte ich nur unkonventionell lösen. So war in der ersten Frage die Vü im Horizontalflug gegeben und vier Antwortmöglichkeiten zur Vü im Kurvenflug. Da dort nur eine einzige Antwort größer als die Vü im Horizontalflug war musste es zwangsläufig diese sein. Bei der zweiten Aufgabe kamen aber zwei Geschwindigkeiten in Frage, und die Faustformel für die Berechnung fiel mir freilich nicht ein. Also umgedacht und aus Aufgabe eins, wo das Ergebnis ja klar war, das Verhältnis der beiden Überziehgeschwindigkeiten berechnet und auf die andere Frage übertragen. Siehe da, es passte. Unkonventionelle Problemlösung, wie von Piloten verlangt!
Die folgenden Komplexe Meteorologie und Luftrecht waren reine Erinnerungsfragen ohne großes Grübeln – wobei, die Aufgaben zum Luftraum Bautzen, den eine gedachte Flugstrecke kreuzen sollte, eindeutiger formuliert auch manches Zweifeln vermieden hätten. Navigation hatte ich mir schließlich für den Schluss aufgehoben, vorher nochmal ausgiebig Pause gemacht, ne Knacker genascht, tief durchgeatmet und die Fragen aufgerufen. Eine Stunde und 45 Minuten hatte ich für die 45 Fragen Zeit. Bis Frage 40 wurde überwiegend navigatorisches Wissen abgefragt, Kartenorientierung, Projektionsarten, Maßstäbe etc., weiterhin galt es diverse Kurse aus vorgegebenen anderen Kursen unter Berücksichtigung von Missweisung, Deviation und Luvwinkel zu berechnen. Auch diese rechenaufgaben habe ich redundant gelöst, und hatte angesichts der Tatsache, dass bei zwei unabhängigen Rechnungen jeweils die gleichen Ergebnisse rauskamen ein recht gutes Gefühl. Dann gings in die Flugplanung: Aufgabe: Planen und berechnen Sie einen Streckenflug von Zwickau über den Wendepunkt Jena-Schöngleina nach Auerbach. Gegeben waren die Daten des Piraten mit Flugleistungspolare sowie der Segelflugwetterbericht. Die Kursberechnung war reine Mathematik, auch das Ablesen der Geschwindigkeit des optimalen Gleitens pillepalle. Problematisch erwies sich die Berechnung des Endanfluges von Zeulenroda aus aus eine bestimmten Höhe und der Ankunftshöhe in Auerbach, da selbst die Segelflugkarte und die normale Luftfahrtkarte, jeweils aus 2010, für den Flugplatz Auerbach die Elevation mit rund 80 Metern Differenz angaben. Also stimmte das Errechnete nur ganz grob über den Daumen mit den Antwortmöglichkeiten überein. Als auch die zweite Rechnung nur gröbste Annährung bot hab ich das naheliegendste angeklickt, und in diesem Moment war die Zeit abgelaufen.

Direkt im Anschluss ratterte der Drucker und spuckte mein Ergebnis aus. Die Sachbearbeiterin machte ein ungläubiges Gesicht, was meine Nackenhaare mit Habachtstellung quittierten und ich mich schon gegenüber meinen Fluglehrern eine Rechtfertigung für das vergeigte Fach zusammenstammeln sah. Dann entspannten sich ihre Züge. „Herr Reinhold, ihr Ergebnis in Navigation hat echten Seltenheitswert.“ Wie bitte?? Ich nahm den Wisch mit den Ergebnissen entgegen und traute meinen Augen nicht: Die Hassfächer Navigation und Meteorologie jeweils mit 100 Prozent Trefferquote, ebenso Verhalten in besonderen Fällen. Luftrecht mit 97,5 Prozent, Technik und HPL mit 90 auch noch recht gut. Nur Aerodynamik fiel mit 86,67 Prozent aus dem Rahmen. Ist-Quote 95 Prozent bei Sollquote 75. Alles richtig gemacht.