Doppelter Ventus-Spaß

Es gibt so Tage, an denen passt es einfach. Der dritte März, ein Sonntag, gehörte zu genau diesen Tagen. Wobei eigentlich auch der Samstag schon gut war, sodass man von einem insgesamt gelungenen Wochenende sprechen könnte.

Nachdem ich die SZD-59 für die vorbereitenden Arbeiten zur Montage des Blitzers auf dem Rumpfrücken ohnehin aufs Kreuz drehen musste, konnte ich bereits ein paar Punkte der Liste für die Winterwartung abarbeiten, denn so kam ich perfekt ans Fahrwerk ran. Für Samstag und Sonntag hatte ich mir schließlich die Kontrolle der Tragflächen vorgenommen. Sprich Oberfläche reinigen, Querruder und Klappenanlenkung kontrollieren, die Buchsen an der Wurzelrippe nachschmieren und die Holme abklopfen, um potenzielle Delaminierungen rechtzeitig zu erkennen. Alles in allem gingen dafür etwa sechs Stunden drauf. Ohne Stress, versteht sich, ganz in Ruhe mit Deutschlandfunk aus der Bluetooth-Box.

Sowohl Samstag als auch Sonntag sahen vom Wetter her jetzt nicht so besonders aus, also perfekt, um sich in der Werkstatt zu betun. Dementsprechend überrascht war ich auch, als ich Sonntag bei der Ankunft auf dem Platz auf geschäftiges Treiben stieß. Bestimmt 20 Flugzeuge bereits am oder auf dem Weg zum Start, darunter auch mancher Spitzenpilot. Und das bei trübem Himmel. Was wussten die, das mir verborgen geblieben war? Ich konnte es mir nicht erklären. Sicherheitshalber gab ich meinem Vereinskameraden Benjamin zu verstehen, dass ich im Anschluss an seinen Flug gerne auch noch einen Flug auf Tilos VV machen wollen würde, sofern das ok ist. Er versprach, mir Bescheid zu geben, wenn er gelandet ist – für mich der Moment, mich in die Werkstatt zu trollen.

Irgendwann zweieinhalb Stunden später sind beide Flächen im Anhänger verschwunden, und da mein Telefon noch nicht geklingelt hat, beschließe ich, zum Start zu fahren und mal zu gucken, was da los ist. Der große Betrieb hat sich zu diesem Zeitpunkt bereits gelegt, dafür sind unsere Flugschüler jetzt zugange. Offenbar haben sie Fluglehrer Otto breitgeschlagen, mit ihnen noch ein paar Starts zu machen. VV steht noch immer am Boden, und ich erkundige mich, wie der Plan ist. Ich erfahre, dass Benj noch gar nicht in der Luft war und Nico als nächster fliegt. Man hätte versucht, micht zu erreichen und zu fragen, ob ich K9, unseren Discus 2c, noch fliegen will, aber ich sei nicht rangegangen. Und tatsächlich spuckt mein iPhone in diesem Moment einen unbeantworteten Anruf aus. Na toll. So muss ich mich wohl hinten anstellen, um noch einen Start abzugreifen.

In diesem Moment kommt Tilo vom Anhängerplatz zurück, um sein Egobesteck einzusammeln, und wir kommen ins Quatschen. Er erzählt von seinem Flug, ich sage, dass ich noch ne Runde VV fliegen will und mir den Ventus 3 in diesem Jahr auch mal anschauen muss. Und da kommt wieder einer dieser legendären Sätze von ihm: „Magste gleich die 3V nehmen? Die schieben wir schnell wieder an den Start!“ Auf genau diese Weise war ich am 3. Advent 2016 zu meinem ersten Ventus-Flug überhaupt gekommen, eben in Tilos VV. Und mir fällt es zuegegebener Maßen unglaublich schwer, so ein Angebot abzulehnen.

Die 3V steht schon auf dem Rüstplatz und harrt dort ihrer Demontage, aber nachdem wir noch schnell geholfen haben, die SHK aus der Bahn zu ziehen und Richtung Halle zu schieben, sind wir mit der 3V schon auf dem Weg zum Start. Schiebender Weise, es heißt ja nicht umsonst Segelflug-Sport. Am westlichen Platzende angekommen, mache ich eine ausgiebige Sitzprobe und stelle fest, dass ich sogar halbwegs passabel in den Sport-Rumpf hineinpasse. Eng ist es schon, und für die perfekte Sitzhaltung müsste ich mir eigentlich noch ein Kissen in den Rücken klemmen, aber es sollte auch so gehen. Am Ende tuts meine Jacke ebenso. Ich gehe in Ruhe die Bedienelemente durch, wölbe mich durch alle Stellungen, fahre die Klappen mehrfach ein und aus, um ein Gefühl für die notwendige Kraft dafür zu bekommen.

Tilo steht daneben und gibt mir Tipps, welche Klappenstellung grob zu welcher Fahrt passt und was ich sonst noch wissen sollte, um den Edelrenner am Stück wieder auf die Erde zu bringen. Im Wesentlichen läufts auf einen zentralen Briefing-Satz raus: „Fliegt wie ein Ventus!“ Die Husky rollt vor und nimmt mich an den Haken. Im Gegensatz zur Schneeflug-Aktion ein paar Wochenenden zuvor kann ich dieses Mal immerhin mit Sicht aufs Schleppflugzeug starten. Das macht es aber irgendwie nicht besser, denn als die 3V Fahrt aufnimmt und ich sie mit der Wölbklappe weglupfen will, dotzt sie mir noch zweimal wieder auf den Boden. Ich sehe vor meinem inneren Auge, wie Tilo die Hände vorm Gesicht zusammenschlägt, aber irgendwann bin ich dann doch in der Luft und fliege stoisch der Husky hinterher. Die ersten ein, zwei Minuten im F-Schlepp auf einem neuen Muster bin ich wie im Tunnel. Fokus nach vorne, einfach nur konzentrieren. Da der Sektor Hahnweide noch ne Freigabe hat, lasse ich mich bis an den Deckel schleppen und klinke erst kurz vor 1500 Meter MSL, also rund 1200 Meter AGL. Thermik kann ich keine mehr erwarten, aber ein bisschen Kennenlernzeit hätte ich dann doch gerne, bevor ich den Hobel wieder im Globus einrasten muss.

Klinken, Fahrwerk rein und ausleveln. Verdammt ist das Ding leise, denke ich mir. Da ist Schempp-Hirth ein echter Fortschritt gelungen, denn unsere Discen lärmen zum Teil gewaltig. Bei der K9 hatte ich mal den gröbsten Krach durch neue Dichtungen und Mylarbänder am Seitenruder beseitigt, aber die K6 heult immernoch wie Hölle. Die meisten Kameraden scheint das nicht zu stören, wärs mein Flieger, hätte ich da lange was gemacht. Vielleicht sind das Baustunden für den nächsten Winter.

Zurück zur 3V: Meiner Turnleidenschaft geschuldet mache ich mir zunächst mal ein Bild von der Agilität des Fliegers. Rollen geht Ventus-typisch flott, wenngleich ich bis dato nur die VV kannte, die dank 15 Meter Spannweite eher als Go-Kart denn als Flugzeug durchgeht. Aber für ihre 18 Meter geht die 3V schon verdammt lässtig ums Eck. In Kurvenwechseln folgt sie den Steuereingaben verdammt fix, bei Neutralstellung der Wölbe dank der dann größten möglichen Ruderausschläge natürlich am zackigsten. Im Langsamflug lässt sie sich in stellung L mit unter 70 km/h noch am Himmel halten, ohne wirklich gefährlich zu werden. Selbst ein Seitenrudervollausschlag bringt sie in diesem überzogenen Flugzustand nicht direkt ins Trudeln, sondern eher in ein seitliches Abrutschen. Ich verzichte darauf, das Höhenruder voll durchzuziehen, denn drauf anlegen will ich es dann doch nicht. Nicht bei einem ersten Flug und nicht am Sonntagabend. Was den Geräuschpegel im Cockpit angeht, bleibt der auch bei gut 200 Sachen angenehm niedrig. Ich lasse sie laufen, wölbe negativ bis auf S und bin einfach nur beeindruckt von der Performance.

Den Großteil der Höhe verbrate ich mit Airwork aller Art und habe wirklich einen Heidenspaß dabei. Als ich tiefer komme, ziehe ich probehalber die Klappen um herauszufinden, wie wirksam sie sind. Fahrwerk raus, Wölbe auf +2, Positionsmeldung, Queranflug, Endanflug und nach 26 Minuten hat uns die Erde wieder. Tilo steht wie erwartet am Pistenrand und grinst. Es ist immer wieder toll zu sehen, wie viel Spaß er am Spaß anderer hat. Als ich mich für den missratenen Start entschuldige, meint er nur, dass das gar nicht so schlimm ausgesehen hat. Nunja.

Das Abrüsten dauert bis in die Dämmerung, und am Ende lassen wir den Abend bei Pizza ausklingen. Damit geht einer diese tollen Flugplatztage, die mitunter unerwartete Überraschungen bereit halten, zu Ende.

Mit dem Arcus am Hang
und der VV durch die Thermik

Eine Woche nach dem ersten Tanz mit der 3V finden sich wieder eine handvoll Flugverrückte auf dem Flugplatz ein, und zwar wieder mal bei einer Wetterlage, die dem Durchschnittsflieger allenfalls ein müdes Schulterzucken abgenötigt hätte. Die Vorhersagen sind eher lala, aber wir versuchen es. Tilo auf dem Discus 2c FES, Nico fliegt unseren Duo solo, Andi die K9 und ich zerre mir den Arcus aus dem Hangar. Zu faul zum Rüsten. Und da ich noch nen Platz frei habe, frage ich Tilos Tochter Amelie, ob sie bock hat, mitzufliegen. Beim Abziehen des Haubenbezuges trifft mich der Schlag: Ein gut zehn Zentimeter langer Riss spannt sich vom oberen linken Eck des hinteren Fensters aus nach vorn. Nach kurzer Beratschlagung informieren wir den Vorstand und holen uns das OK, den Riss anzubohren, damit er nicht weiter läuft. Tape drauf zur Abdichtung und der Arcus ist zumindest für diesen Tag einsatzklar.

Wir gehen als letzte in die Luft und machen zunächst am Teckberg Höhe. Es geht nicht berauschend, aber es geht. Irgendwann wagen wir den Sprung Richtung Neuffen. An der Burgruine kein Steigen, aber am direkt dahinter liegenden Hörnle treffen wir auf erstaunlich gute Steigwerte. Auch wenn ich Amelie schon vor dem Start klargemacht habe, dass sie bei mir keine Hangfeilerei wie bei ihrem Vater erwarten kann und dass ich wahrscheinlich ohnehin innerhalb von eineinhalb Stunden zwecks Drainen wieder landen muss, packt mich dann doch ein bisschen der Ehrgeiz. Angespornt von den Erfolgsmeldungen der anderen, die schon vorgeflogen waren, springen wir zum nächsten Hang westlich des Flugplatzes Rossfeld. Einer der anderen hat hier 300 Meter gemacht, aber entweder ist der Aufwind Geschichte oder ich bin zu blöd. Nico mit der K5 is mal über mal unter uns, Andi in der K9 gehts genauso. Nach einer knappen Viertelstunde wird es mir zu bunt, und angesichts der ziemlich dunklen Wolken, die von Westen auf uns zukommen, gehe ich auf Gegenkurs Richtung Teck. Hier eiern wir noch ein paar Schleifen über dem Grat, bevor es zur Landung geht. Es gelingt uns gerade so, den Arcus in die Halle zu schieben, bevor es zu schütten anfängt. Die Einsitzer stehen noch draußen vor den Anhängern, die Piloten hatten keine Chance, rechtzeitig abzurüsten. Wo Tilo steckt, ist zu dem Zeitpunkt unklar. Ich mache mich im Geiste schon fertig für eine Rückholtour.

In diesem Moment zischt im strömenden Regen der Discus 2c FES über den Platz und kommt zur Landung. Tilo hat es geschafft. Völlig irre, bei dem Wetter. Er war am weitesten in Richtung Westen vorgeflogen und hatte es tatsächlich bis kurz vors Klippeneck geschafft. Dann holten aber auch ihn die Schauer ein und er musste die letzten zehn Kilometer den Akkuschrauber anwerfen. Mit einer wilden Trockenleder-Orgie geht der Tag zu Ende.

Nur eine Woche später sieht das Wetter zum ersten mal in diesem Jahr so richtig nach Thermik aus. Es ist frisch und die Sonne knallt, und sechs Piloten der Fliegergruppe Wolf Hirt wollens wissen. Wobei – wissen will ichs eigentlich nicht, aber ich hab einfach Lust zu fliegen. Was dabei rauskommt, ist mir dabei völlig egal. Spaß solls machen! Ich spekuliere auf den Arcus, weil das Bordbuch noch im Schrank liegt. An der Halle angekommen, macht mich Schlepp-Pilot Stefan auf den eher ungünstigen Wind aufmerksam. Leichte Nordkomponente, für Starts auf der 25 alles andere als ideal. Alternative? Ich frage Tilo, ob ich die VV fliegen kann, und der meint, ich sollte das mit einem unserer Kameraden klären, der hätte bereits gefragt. Also kurzes Telefonat und dann die freudige Botschaft: er weiß noch gar nicht, ob er kommen kann, ich soll einfach fliegen. Yeah, das agile Go-Kart mit 15 Metern Spannweite macht nämlich richtig viel Spaß. Nach der Ventus-Erfahrung vom Wochenende hatte ich wieder derbe Lust auf nen Wölbklappen-Einsitzer, auch wenn das bei meinem Talent für den Streckenflug freilich irgendwie Perlen vor die Säue ist. Bevor ich allerdings ins Cockpit passe, muss ich tatsächlich eine Schicht Klamotten ausziehen. So ein A-Rumpf ist halt nichts für das winterliche Zwiebelsystem, mit dem der findige Pilot versucht, der Kälte zu trotzen.

Wie so oft komme ich erst als letzter in die Luft, was mir angesichts meiner wenig ausgeprägten Leistungsorientierung in diesem Moment völlig Schnuppe ist. Im Gegensatz zum 3er Ventus gelingt es mir völlig easy, die VV mit der Wölbklappe vom Boden wegzulupfen. Keine Ahnung, was ich da in der Woche zuvor vergeigt habe. Bei gut 600 Meter AGL klinke ich aus und kreise mich querab der Teck langsam nach oben. Entlang des Lenninger Tals geht es zuerst nach Münsingen, und ich ärgere mich angesichts der dicken Quellwolken, dass ich keinen Proviant dabei habe. Weiter Richtung Donau stehen lange Wolkenstraßen, aber ich spare mir den Umweg und hüpfe in südöstlicher Richtung von Cumulus zu Cumulus. Ab Erbach folge ich der Donau Richtung Ulm und mache Boden gut auf die kur vor mir gestarteten. Über Ulm drehe ich etliche Runden und fotografiere das Münster aus allen möglichen Perspektiven. Ich finde es immer wieder spannend, genau über dem Zentrum großer Städte zu kreisen und mir anzuschauen, was am Boden passiert.

Währenddessen höre ich im Funk, dass David, Nico und ein Pilot des Aeroclubs Stuttgart in der Nähe des Kernkraftwerks Grundremmingen arg zu kämpfen haben. David stellt seinen Flieger schließlich auf den Acker, und die Kommentare der anderen lassen nicht erwarten, dass es in diese Richtung deutlich besser wird. Also mache ich etwas östlich von Ulm kehrt und fliege zurück – auch im Wissen, dass ich nicht alles darauf setzen will, dass Tilos Frau Katja die VV immer zurückholt – egal wer da im Cockpit sitzt. Im straffen Vorflug geht es an Laichingen vorbei auf die Teck zu, immer begleitet von der Überlegung, welchen Aufwind ich noch mitnehmen muss, um nach Hause zu kommen. Am Ende reicht es komfortabel, und kaum dass ich die VV wieder auf die Hahnweide gesetzt habe und ausgestiegen bin, klingelt mein Handy und Nico fragt, ob ich ihn denn in Blaubeuren abholen könnte. Da war nämlich für ihn Schluss.

Als die VV verpackt ist, beginnt die zweite Rückholtour in diesem Jahr. Beim Tanken in Kirchheim fällt mir jedoch auf, dass der Anhänger zwar Stoßdämpfer hat und die Papiere für 100 km/h aktualisiert sind, der Aufkleber auf dem Deckel aber fehlt. Da ich keine Lust habe, mit 80 nach Blaubeuren zu eiern, düse ich nochmal auf den Flugplatz und pappe den Darfschein auf die Leitwerkshutze. Als Strafe für seine Außenlandung muss mir Nico ein Essen beim Restaurant zur goldenen Möwe finanzieren. Nur gerecht, finde ich…