Vom Umgang mit dem Misserfolg…

Im Laufe der Zeit habe ich sehr mühsam gelernt, dass es nur bedingt sinnvoll ist, Wut in Form von Aggression gegen Menschen oder Gegenstände abzubauen. Vor allem, wenn ihr Quell eigentlich eine Lappalie ist, eine Nebensache, angesichts derer sich – ganz egal, ob man sie nun gut oder eher mäßig bewältigt hat – die Erde weiter dreht, als sei nichts gewesen. Nun ist der Mensch aber so gestrickt, dass er gewissen Dingen eine Bedeutung beimisst, die für Außenstehende kaum nachvollziehbar ist. Und so ist das bei mir mit den Schweizer Meisterschaften im Segelkunstflug ganz sicher gewesen. Mein zweiter Wettbewerb nach dem Salzmann-Cup Ende Juni 2019, in dem ich einigermaßen überraschend die mit drei Mann spärlich besetzte Sportsman-Klasse gewinnen konnte, und für den ich vielleicht irgendwann mal noch nen Bericht nachliefere… (angefangen hatte ich einen, bin aber drüber abgestorben).

Vier Durchgänge waren wir in Vielbrunn geflogen, und ich hatte von der Option Gebrauch gemacht, mit Safety-Pilot zu Fliegen. Und hinter mir saß kein geringerer als Moritz Kirchberg, der beste junge Segelkunstflieger Deutschlands. Dank seines Vor-Briefings konnte ich das vierte Programm überhaupt fliegen, denn die Judges hatten es sich leicht gemacht und einfach die Figurenfolge für das silberne Kunstflug-Leistungsabzeichen aufgerufen. Wende auf dem Rücken und Viertel-Innenrollenkreis kannte ich nur vom Hörensagen, und dass ich mir da keine Null einfing, ist mir heute noch unverständlich.

Nunja, viel gefeiert und gejubelt, aber eine Konkurrenz von drei Mann hatte für mich persönlich die Wertigkeit des Erfolgs doch arg gedämpft. Also musste der nächste Wettbewerb her. Sportsman, klar, denn ich hatte nur die Möglichkeit, auf einer ASK21 zu trainieren, und selbst das nur ein paar Mal. Sowohl in Österreich als auch in der Schweiz boten sich noch die nationalen Meisterschaften an, Ösiland habe ich allerdings nach Überweisung der Meldegebühr geknickt, da Anreise, Kosten fürs Flugzeug und der Gesamtaufwand für vielleicht vier Flüge in keinem Verhältnis standen. Die Spitzerberger hätten mich zwar fast für Umme ihre 21 rumschleudern lassen, aber der Kübel war leider nicht für Kunstflug-Wettbewerbe versichert, und für fünf Tage wollten die Halsabschneider von ****** 250 Euro Zusatzprämie. Das war es mir dann doch nicht Wert.

Also ab in die Schweiz, nach Thun, rund 360 Kilometer von Stuttgart entfernt. Die zwei Tage vor Wettbewerbsbeginn konnte ich noch bei der Kunstflugwoche in Bruchsal mitfliegen und einen Trainingsstand aufbauen, der mich gerade noch davon ausgehen ließ, mich in Thun nicht totzufliegen. In jedem Fall waren die vier Flüge gerade genug, um die Bekannte einigermaßen durchzufliegen. Von schön konnte da freilich keine Rede sein. In nur vier Flügen habe ich drei Fluglehrer mit meinem Gewürge nahezu zur Verzweiflung gebracht, wobei Robin am Ende wahrscheinlich noch am wenigsten von meiner Inkompetenz abbekommen hat, weil ich zu dem Zeitpunkt wenigstens wusste, wann ich mich in welcher Fluglage zu befinden hatte.

Sportsman Thun
Vor allem die Rolle Rücken in Rücken machte mir Sorgen…

 

Der Mist ging schon beim Abschwung los. Die 21 sollte ja beim Durchziehen nicht schneller als 120 sein, aber irgendwie vergeigte ich vorher die Rolle ständig, weil ich die Fahrt durch unsinnige Ruderausschläge vernichtet hatte und die Kiste schon im Drehen nach unten durchfiel. Der Humpty lief, auch der 5/8-Loop samt Rausdrücken in die Horizontale ging irgendwie. Die Rolle Rücken in Rücken hat im Training vielleicht einmal halbwegs funktioniert, alles Weitere war nicht schön, aber in jedem Fall erkennbar, wenngleich ziemlich individuell mit sehr fliexiblen Variationen von Winkeln und Radien. Nunja.

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Die Teilnehmer der Kunstflugwoche in Bruchsal. Ich bin da auch drauf, mich erkennt man aber gottseidank nicht 🙂

 

In Thun angekommen, bin ich zunächst geflasht vom beeindruckenden Landschaftspanorama. Thun liegt im Berner Oberland direkt am Thunersee und wird flankiert von Gipfeln wie Hohmad, Stockhorn, Niesen, Sigriswiler Rothorn und Burgfeldstand. In einiger Entfernung erspäht man Jungfrau, Mönch und Eiger. Der Flugplatz selbst liegt nahezu komplett in einem Militärgelände, und unter der Woche brettern da alle paar Minuten Schweizer Soldaten mit Gerät vom Jeep bis zum Leopard 2 vorbei, wenn sie von den an der Stadt gelegenen Kasernen ins Übungsgebiet fahren.

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Ein bisschen Bergpanorama. Und mein Arbeitsgerät für die Schweizer Meisterschaften…

Da am Vortag der Meisterschaft aufgrund aufziehenden Schlechtwetters kein Trainingsflug für mich mehr möglich war, nehme ich am ersten Wertungstag die Chance wahr, mich hinter die Remo zu hängen, die dann für die Punktrichter die Box abfliegen soll. Ein zweiter Teilnehmer, der ebenfalls nicht in Thun trainieren konnte, begleitet mich. Tatsächlich sind die Boxtücher zunächst schwierig auszumachen, eins liegt beispielsweise auf dem Dach eines Industriegebäudes, ein anderes auf einem Golfplatz. Gute 15 Minuten fliegen wir die Box ab und prägen uns Orientierungspunkte ein, dann geht es zur Landung.

Als achter gehe ich in die Luft und reiße mehr schlecht als recht mein Programm runter. Als ich fertig bin habe ich noch mehr als 700 Meter AGL auf der Uhr und frage mich sofort, was ich vergessen haben. Aber es scheint alles drin gewesen zu sein. Am Ende ist es Rang fünf mit 835,27 Punkten und 58,005 Prozent, uns ich bin echt zufrieden mit meinem Wettbewerbs-Einstand ohne Safety Pilot. Und ich bin Happy, dass ich mit der fetten Kuh drei B4- und zwei Fox-Piloten hinter mir gelassen habe. Auch bei der ersten Unbekannten, die am gleichen Tag geflogen wird, bin ich weit besser, als ich es mir hätte vorstellen können. Allerdings prügele ich die 21 dabei so durch die Box, dass am Ende +6 g auf dem G-Messer stehen. Das macht mich pampig, denn erstens ist es an der Grenze, zweitens unnötig. Und es zeugt von unkontrolliertem Fliegen. Da die 21 bis 6,5 g bei Va abkann und ich nicht viel schneller als 220 unterwegs war, ging das gerade noch mal gut. Andererseits: Der hintere G-Messer hat am Ende plus 5,5 angezeigt – trotz Landestoß. Das ein oder andere Viertel-g dürfte also in den Toleranzen des Messsystems untergegangen sein…

Für die Unbekannten drei und vier am nächsten Tag lautet die Devise: Kontrolliert fliegen. Viel mehr nach G-Messer fliegen und weniger nach Gefühl, dass mich schon am Vortag so beschissen hat. Die Belastbarkeit steigt doch im Laufe der Saison, und wenn man sich am Anfang des Jahres mit etwas Unachtsamkeit noch mit viereinhalb g die Lichter ausknipsen oder zumindest stark dimmen kann, so steckt man später durchaus sechs, sieben g weg. Nur halt besser nicht mit einer ASK21. Die zweite Unbekannte läuft so lala, 876,80 Punkte und 63,079 Prozent reichen nur für den sechsten Platz. In der dritten Unbekannten habe ich dann endlich einen Auftritt, der diesen Begriff auch verdient. Das Programm ist dabei zwar nicht sonderlich kompliziert, hat aber mit einer Inverted Kuban, einem Aufschwung mit vorgeschalteter ganzer Rolle und einem 5/8-Loop mit Richtungsänderung um 90 Grad, den ich noch nie geflogen bin, reichlich Malus-Potenzial. Am Ende finden sich im Bewertungsbogen erschreckend viele 7er, 7,5er und sogar 8er. 987,7 Punkte und 67,7 Prozent reichen mit den anderen Programmen aufaddiert für Rang drei in der Gesamtwertung. Rang drei!!! Ich bin völlig geflasht und frage mich, was da gelaufen ist. Das Schönste ist der Kommentar von Punktrichterin Sandra im Bewertungsbogen zu meiner Zweizeiten-Rolle…

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Kommentar von Sandra… Sowas baut auf! Bitte an die Punktrichter: mehr Positives aufschreiben!

 

Eigentlich könnte ich entspannt in den letzten Tag gehen. Zwischenstand mit Rang drei, die beiden letzten Flüge absolut safe in Bezug auf die G-Kräfte und damit die Erkenntnis, dass ich mit dem Kübel recht akzeptable Programme in die Box zaubern kann. Nur ist das bei mir kein Grund, das entspannt anzugehen, sondern sorgt eher für zusätzlichen Ehrgeiz, der – man ahnt es schon – mehr schadet als nutzt.

Die vierte Unbekannte sieht auf den ersten Blick gar nicht so furchtbar kompliziert aus. Allerdings missfällt mir, dass es drei Umkehrfiguren mit Loopbögen und Rollen sind, die auf sich auf den ersten Blick verdammt ähnlich sehen. Auch ein P-Loop mit integrierter Rolle vorm Aufziehen ist dabei. Zudem habe ich Startnummer 1, und jetzt rächt sich, dass ich das Programm nicht am Abend vorher noch ein paarmal durchgetanzt habe. Ich versuche, mir das ganze noch irgendwie draufzudrücken, merke aber noch vorm Einsteigen, dass das wohl gründlich daneben gehen wird. Als ich wieder unten bin, bin ich zunächst froh, sauber durch die Figuren gekommen zu sein. Mit plus 5,3 und minus 1 g auch recht soft. Nur die Positionierung hat irgendwie nicht hingehauen, und das hätte mir schon in der Luft entsprechend verdächtig vorkommen müssen. Ich hoffe nur, es nicht völlig verratzt zu haben.

Beim Blick auf den Auswertebogen gute vier Stunden später trifft mich der Schlag. Figur 1 ist noch gewertet, alles danach HZ. Hard Zero. Also eine Null, für die es objektive Kriterien gibt. Beispielsweise – wie in meinem Fall – eine oder zwei vertauschte Figuren und dadurch eine Fortsetzung des Programms in der falschen Richtung. Dann können Rollen, Turns und Loops noch so schön geflogen sein, falsche Richtung bedeutet null. Aus, Ende, keine Diskussion. Da sind auch die warmen Worte aus der Kategorie „Was du geflogen bist, sah gut aus, war nur leider in der falschen Richtung“ nur ein sehr schwacher Trost.

Sportsman overall
Das dramatische Endergebnis… Zum Heulen…

Als klar ist, dass ich mit dem Flug eine echt gute Platzierung völlig versaut habe, bin ich etwa eine Stunde lang nicht ansprechbar. Ich gehe den anderen aus dem Weg, einfach, weil ich niemanden angiften will, was mutmaßlich passiert wäre, wenn mich einer drauf angesprochen hätte. Da kann ich nur schlecht aus meiner Haut. Das muss ich dann erst mit mir ausmachen und die Emotionen runterfahren. Gelungen ist mir Letzteres bis zu dem Moment, an dem ich diesen Text schreibe, nicht, da bin ich ehrlich. Dieser beschissene Ehrgeiz, den ich im Streckenflug nie gehabt habe und wohl auch nie entwickeln werde, beim Kunstflug hat er mich gepackt, keine Ahnung, wieso.

Natürlich mache ich gute Mine zum bösen Spiel und applaudiere meinen Mitstreitern bei der „Rangverkündigung“ artig. Als Andenken gibt es für alle ein Bierglas samt einer Flasche lokalen Gerstensaftes, eine originale Kotztüte der SG Thun und – und das ist wirlich ein kleiner Trost, der mich zum Lächeln bringt – ein Schweizer Soldatenmesser. Eine super Idee der Ausrichter, die ganz generell einen tollen Job gemacht haben.

Wenn ich einen Schritt zurücktrete, habe ich absolut alles erreicht, was ich in Thun erreichen wollte. Ich wollte Kunstflug machen, Spaß haben, was lernen und nicht Letzter werden. Ich habe Kunstflug gemacht, Spaß gehabt, was gelernt und bin nicht Letzter geworden. Eigentlich Grund genug, die Woche als tollen Urlaub in Erinnerung zu behalten. Das werde ich ganz sicher, aber es wird mich noch ein paar Wochen wurmen, dass ich das letzt Programm so kolossal verbockt habe. Und es wird Ansporn sein, zu trainieren, besser zu werden, vor allem gelassener. Mental habe ich so unglaublich viel Luft nach oben, und da kann ich glaube ich noch viel von Altmeistern wie Siggi Mayr aus Österreich lernen, bei dem die Vorbereitung schon damit anfängt, den Programmzettel umzudesignen. Das hätte ich auch mal machen sollen, dann hätte der vielleicht Ordnung statt noch mehr Verwirrung in mein Geturne gebracht. Dass ich selbst mit der 21 fliegerisch zwischen B4 und Fox mithalten kann, habe ich in vier Programmen unter Beweis gestellt. Aber Kunstflug findet nunmal zu 90 Prozent im Kopf statt. Und da bin ich ganz offensichtlich noch nicht so weit.

To be continued…