Richtig fliegen lernen

Wenn eine Horde Kunstflugschüler eine geschlagene Stunde lang mit einem Stock über einen geriffelten Holzstab rubbelt, um ein daran befestigtes Holzplättchen propellergleich in Drehung zu versetzen ist klar: Das Wetter ist schlecht. Richtig schlecht. So schlecht, dass ans Fliegen nicht zu denken ist. Genauso wie am fünften Tag des KFAO-Kunstfluglehrgangs in Reinsdorf. Allerdings ist der Holzstab schon irgendwie das Ende der Fahnenstange dessen, womit wir uns die Zeit vertreiben. Mit Dennis aus Taucha und Eberhard aus Roitzschora habe ich zu dem Zeitpunkt schon eine Stunde Skat durch, am Vorabend mit den anderen Grundschülern Dennis, Ilka, Antje, Lukas und Benedikt drei oder vier Runden „Halt mal Kurz“ und noch etliche mehr „DiXit“. Wer mehr zum Zeitvertreib auf Lehrgängen mit Mistwetter wissen will, einfach die Spiele mal googeln. Und nein, Looping Louie haben wir nicht gespielt…

 

Samstag, 9. September

Als ich am Samstag in Reinsdorf aufschlage habe ich um ehrlich zu seine keinen Plan, was mich erwartet. Ich frage mich seit der Anmeldung, ob ich mir das mit dem Kunstflug gut überlegt habe, komme aber zu der Erkenntnis, dass es nur konsequent ist, den Drang, hin und wieder einen Steilkreis oder eine Parabel zu fliegen, in geregelte Bahnen zu lenken. Der Lehrgang des KFAO bot dazu angesichts der Möglichkeit des Windenstarts auf mehr als 1000 Meter eine kostengünstige Möglichkeit. Der Empfang durch Eddy und Silvia vom Aero Club Berlin ist herzlich. Zwar kenne ich beide nicht – bei meinem Besuch ein Jahr zuvor hatte ich Chrysanthi und ihren Mann Lambert vom AECB kennen gelernt – aber wir sind schnell auf einer Wellenlänge. Ich erfahre, wo ich mich mit meiner Stoff-und-Stangen-Villa breitmachen kann. Kurze Zeit später tauchen weitere Teilnehmer auf. Neben mir schlägt Immo, dem Dialekt nach Eingeborener des Schwabenlandes, seine Hütte auf. Während wir werkeln und quatschen, erscheinen am anderen Ende des Flugplatzes Blaulichter. Zwei RTW, Polizei, einige Minuten später der unverkennbare Teppichkloper-Sound einer UH-1. Fängt ja fantastisch an. Die Auflösung gibts am Abend: Eine ASK21 des AECB ist im Landeanflug durchgesackt, aus drei Metern Höhe auf den Platz gescheppert und dann ins angrenzende Feld gerollt. Die gute Nachricht: Beide Insassen haben das einigermaßen gut überstanden. Die schlechte: mit der 21 fällt ein Flugzeug aus, das für den Lehrgang eingeplant ist. Nun bleiben ein Perkoz für die Grundschüler, eine Fox für die Weiterbilder und zwei privte Flugzeuge, ein Salto und eine DG303.

Meine Laune ist aber auch unabhängig von diesem Malheur eher mittelmäßig, denn seit einer Woche habe ich eine sanfte Erkältung im Schädel, die aber irgendwie nur die Nasennebenhöhlen betrifft. Druckausgleich geht, kein großes Geschniefe, nur dieses Druckgefühl mitten im Gesicht nervt ungemein.

Sonntag, 10. September

Nach dem Frühstück gibt es ein ausführliches Briefing für alle Teilnehmer. Eddy und Thomas, beide Fluglehrer im AECB und im KFAO, referieren, was sie von den Teilnehmern erwarten. In erster Linie geht es um die Sicherheit. Heißt: Keine zu tiefen Anflüge über die Bäume an der Platzgrenze, allgemeine Umsicht im Flugbetrieb, Besonderheiten der Windenstarts bis auf mehr als 1000 Meter. Dazu eine grobe Übersicht über die Themen, die wir in der Ausbildung behandeln werden. Enthusiastisch zerren wir das ganze Geraffel an den Start. Ich degradiere mich für den gesamten Tag selbst zum Zuschauer, und mit jedem Start, den ich mit ansehen muss, steigt der Selbsthass. Auf dem Flugplatz zum Lehrgang sein und nicht fliegen zu können, das ist so ziemlich die Höchststrafe. Aber mein Schweinehund ist nicht so stark, als dass ich mich nicht so weit in das Geschehen einklinken würde, dass ich wenigstens den anderen helfe. Irgendwann habe ich Harry, einem Helfer des AECB, den Platz am Telefon streitig gemacht und kümmere mich um den Kontakt zur Winde. Jedes Mal, wenn der Perkoz den Einflug in die Box ankündigt, gucke ich neidisch nach oben. Am Anfang trainieren meine Mitschüler den Rückenflug, um sich an diese völlig ungewohnte Lage zu gewöhnen. Und jeder, der nach der Landung aussteigt, grinst wie mit `nem Kleiderbügel in der Fresse.

 

Montag, 11. September

Als ich aufwache, ist es mit dem Rotz keinen Deut besser als am Vortag. Ich klemme mir die Ausräumaktion, um die anderen nicht mit meiner miesen Laune zu belasten. Erst zum Frühstück bin ich anwesend, aber auch mehr körperlich als geistig. Die Grundschüler starten heute alle zunächst im F-Schlepp, um mit dem AECB-Blaník ihre Trudeleinweisung zu fliegen. Heißt: Wieder ziehen die anderen ihre Bahnen am Himmel, während ich ihre Flüge, Zeiten und damit auch ihren Fortschritt in die Kladde notiere. Auf meinen Schultern sitzen derweil Engelchen und Teufelchen und fechten einen erbitterten Kampf aus. Fliegen und mich dem Risiko aussetzen, keinen Druckausgleich machen und wieder Ärger mit meinem lädierten Gehör zu bekommen, oder einfach noch einen Tag warten und drauf hoffen, dass sich die Erkältung bessert. Teufelchen hat angesichts der Tatsache, dass ich auf dem Flugplatz sitze, natürlich Heimvorteil. Aber Engelchen hat nicht nur die gesundheitlichen Argumente im Gepäck, sondern kratzt zudem noch meine nicht unerhebliche Angst vor mir unbekannten Situationen zusammen und wirft sie ins Feld. Keine gute Kombi. So ringe ich den ganzen Tag mit mir, was ich nun tue, aber gegen 16 Uhr dreht sich Engelchen kurz weg und Teufelchen tritt ihr beherzt in den Arsch. Ich bitte Eddy, mit mir gemeinsam den Abschlussflug zu machen. Als ich im Cockpit festgeratscht bin stellt sich sofort das übliche Wohlbefinden vor dem Start ein. Vielleicht spielt da auch rein, dass ich den Perkoz von meinem Besuch auf der Burg Feuerstein im Februar 2016 kenne und damals mit der Kiste gemeinsam mit Michael Zistler beim Trudeltraining einfach nur einen Heidenspaß hatte. Unser Programm für diesen Flug: In die Box, Anwackeln, Fahrt aufholen, halbe Rolle in den Rückenflug und dann erstmal Fahrt und Fluglage halten. Anschließend noch ein Abschwung und gucken, wie weit die Höhe reicht.

Der Windenstart bringt und bei ruhigen Bedingungen bis auf 1100 Meter. Hier oben ist es auch noch einigermaßen hell. Rechts rum, Boxmeldung, wackeln. Ich drücke auf 170 an, lupfe die Nase und drücke den Knüppel beherzt nach links. Als klassischen Anfängerfehler gebe ich gleichsinnig Seitenruder, was aber total falsch ist, da das Flugzeug dann eine Kurve fliegen will. Eddi korrigiert sofort. Selbst Gegenseitenruder nach rechts ist unnötig, da das negative Wendemoment in der halbe Rolle die Nase des Flugzeugs ohnehin nach oben drückt. Fluglehrer JP hatte bei der Theoriebesprechung am Morgen noch klar gemacht, dass uns unsere Flugerfahrung, aufgrund derer wir inzwischen Seiten- und Querruder automatisch in Kombination betätigen, für den Kunstflug alles andere als dienlich ist. „Ihr müsst lernen, alle Ruder komplett unabhängig voneinander zu betätigen!“ Jetzt, in den Gurten hängend, ist das alles nochmal ne ganz andere Hausnummer, selbst wenn es nur darum geht, Fahrt und Querlage zu halten. Jeder Blick auf den Fahrtmesser kostet Konzentration. Im Rückenflug sind 130 bis 140 zu halten. Wird der Flieger schneller, heißt es, die Fahrt sanft wegzudrücken – das Gefühl, dass sich sämtliches Blut zwischen Schädeldecke und Unterkante Kinn sammelt, inklusive. So fliegen wir bestimmt zwei, drei Minuten. Dann heißt es Abschwung. „Fahrt auf unter 120, dann sanft durchziehen“, kommt das Kommando. Es ist einfach atemberaubend, wenn das Flugzeug Tempo aufnimmt, der Erde entgegen stürzt und einen unten um die drei bis dreieinhalb g in den Sitz pressen. Finale des ersten Fluges: Kurvenslip. Manche Kunstflugzeuge wie die Lo100 haben keine Bremsklappen, man wird also nur im Seitengleitflug Höhe los. Also Landemeldung, Querruder rechts und Seitenruder dagegen. So slippen wir in einem weiten Bogen in Richtung Piste 28. Ausrichten, Landeanflug. Allerdings ist es inzwischen reichlich dunkel geworden. Bürgerliche Abenddämmerung ist das Stichwort, dank SERA darf der Segelflug jetzt knapp eine halbe Stunde länger spielen als bisher. Die Einschätzung der Höhe gelingt zur Seite blickend besser als nach vorn. Abfangen, ausschweben, rollen lassen. Unten. Ich bin so aufgekratzt wie fertig. Und wieder im Rennen.

Am Abend gibt es mit Fluglehrer Olaf noch Theorie. Viel Zeit verwenden wir auf das V-N-Diagramm, das den Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit und möglicher g-Belastung eines Flugzeugs veranschaulicht. Auch Loops und Rollen, die ersten Figuren, die man praktisch lernt, sprechen wir durch. In mir grummelt es, da meine Mitschüler den Spaß schon erlebt haben.

 

Dienstag, 12. September

Spezialprogramm gleich am Anfang: Windenstart, zwei Umdrehungen Trudeln links herum, Fahrt in Höhe umsetzen, Schmierkurve rechts, eine Umdrehung Trudeln rechts und dann Rückenflug-Notfall-Recovery. Was die anderen Schüler am Vortag nach einem F-Schlepp mit dem Blaník gelernt haben, mache ich aus der Winde auf dem Perkoz. Vor allem das Recovery aus dem Rückenflug ist ein essenzielles Manöver, auf das die Fluglehrer entsprechend Wert legen. Es wird immer dann angewendet, wenn es im Rückenflug Probleme gibt, man beispielsweise die Orientierung verliert oder zu schnell wird. Auf keinen Fall darf man mit zu hoher Fahrt aus dem Rücken durch einen halben Loop nach unten in die Normalfluglage ziehen, zum einen, weil der Höhenverlust in Bodennähe fatal sein kann, zweitens, weil man im senkrechten Teil so viel Fahrt aufnimmt, dass man unten ziemlich sicher nahe an der VNE rauskommt. Eine Überlastung der Zelle ist dann mitunter nicht zu vermeiden. „Gibt es Probleme, immer aus dem Rückenflug rausrollen. Den Knüppel nicht ruckartig, aber bestimmt in eine vordere Ecke drücken und warten. Das funktioniert immer“, erklärt Eddy. Am besten nimmt man den Knüppel „ins Licht“, denn wenn die Querlage nicht absolut gerade ist, rollt man mit dieser Methode entgegen der hängenden Fläche und verkürzt so das Manöver. „Wenn`s im Kopf drückt, am besten kurz die Augen zu und weitermachen“, gibt Eddy zusätzlich einen Tipp.

Der erste Start geht mit einem Seilriss in 600 Meter Höhe daneben, es reicht gerade für einen Loop. Selbst diese unspektakuläre Figur ist für einen „Ersti“ wie mich unglaublich beeindruckend. Mit Steilkreisen baue ich Höhe ab. Fahrt 140, Querlage 60° und mit dem Höhenruder konstant zwei g ziehen. Das passt von Anfang an recht gut, auch der Kreiswechsel haut hin. Präzises Ausleiten auf den Punkt hatte ich bei einigen Spaßflügen auf der Alb vorab schon geübt.

Der Zweite Start bringt uns die Höhe, die wir für das Programm brauchen. Trudeln einleiten kann ich eigentlich, dennoch lasse ich ihn vorm Abriss ziemlich verhungern. Aber dann kommt er doch rum und fällt in eine saubere Rotation. Halbe – ganze – eineinhalb – ausleiten zähle ich mit und fange den Perkoz wieder ein. Eddy bemängelt, dass ich in den Rudern etwas zu hastig bin, ist ansonsten aber zufrieden. Zweite Runde: rechte Fläche hängen lassen, viel Seitenruder – klassische Schmierkurve – und Fahrt wegziehen. Wunderbar kippt der Perkoz ins Trudeln, nach einer Umdrehung habe ich ihn wieder. Eddy übernimmt und rollt direkt aus der Überfahrt in den Rückenflug. Zunächst soll ich den Flug stabilisieren, Fahrt und Querlage passend machen. Dann gilt es, die Fahrt langsam zu erhöhen, sodass sie für ein durchziehen mit halbem Loop zu hoch ist. „Jetzt“ kommt das Kommando von hinten, und ich drücke gleichmäßig in die vordere linke Ecke. Gleichmäßig rollt der Perkoz aus der Rücken- in die Normalfluglage und baut gleichzeitig Fahrt ab. Das ganze machen wir noch einmal rechts herum, dann ist die Höhe weg und mit Steilkreisen und Kurvenslip bringe ich uns zurück.

Flug drei: Erneutes Rückenflugtraining, und tatsächlich gelingt das einigermaßen gut. Drei Abschwünge gehen einigermaßen daneben, da ist noch Übungsbedarf, zwei Linksrollen sind auch nicht der Hammer, aber immerhin die Rolle nach rechts sitzt überraschend gut.

Den vierten Flug an diesem Tag beaufsichtigt Jan-Peter, den wir Flugschüler aus sprachökonomischen Gründen JP getauft haben – freilich mit dessen Einverständnis. Ich soll den Anfang des Grundprogramms – Loop, Abschwung, Aufschwung – fliegen, dann sehen wir weiter. Kaum in der Box und angewackelt, drücke ich zackig an um Fahrt zu holen. Oben im Loop lasse ich zu sehr nach – JP hatte zuvor erklärt, am besten sei, man öffne die Hand nur ganz leicht – was er sofort korrigiert. Im Stürzen nach unten kommt von hinten ein „gleich nochmal“, ich bin aber so sehr im ursprünglichen Programm drin, dass ich die Nase 30° hoch nehme und anfange, nach links zu rollen. JP geht sofort dazwischen, leitet aus, holt Fahrt uns setzt noch einen Loop nach. Meine Konzentration ist völlig dahin, und der Fluglehrer fliegt mir nur noch ein paar Figuren vor. Prozessor overload oder so. Wieder unten, kommt die Klatsche. Viel zu viel Rumgerühre in den Rudern, zu wenig Winkel in den Linien und alle möglichen anderen Fehler. Ich lasse es auf mich einstürzen, bringe dann aber mal vorsichtig den Hinweis an, dass unsere Absprache auf Programm bis zum Aufschwung lautete. Tatsächlich zieht sich JP diesen Schuh an und wir verständigen uns auf klarere Absprachen beim nächsten gemeinsamen Flug – den es aber in diesem Lehrgang gar nicht geben wird.

Mittag und Nachmittag gehen mit Startleiterdienst, Seile holen und Luftraumbeobachtung dahin. Als es zu dämmern beginnt und der Entschluss fällt, so langsam einzupacken, haue ich Fluglehrer Olaf an, mit mir wieder den Abschlussflug zu machen. „Mal gucken ob die Sonne reicht“, sagt er. Kurz vor der Landung funkt er nach unten, ob der Perkoz heimfliegen soll. „Ich würde gerne noch einen fliegen, aber die Entscheidung liegt bei dir“, gebe ich zurück. Offenbar weinerlich genug, denn die Landung wird kurz. Ruck zuck ist der Lepo – ein alter VW-Bus – am Flugzeug. Im Laufe des Tages haben wir unseren Flugbetrieb dahingehend optimiert, dass immer zwei Mann im Bus sitzen und das Flugzeug abholen. Fluglehrer und Flugschüler können derweil im Bus sitzend ihren Flug auswerten. Zuvor war das immer nach der Landung passiert und so hatte sich das Zurückholen des Flugzeugs mitunter elend hingezogen.

1050 Meter Auskuppelhöhe. Der Sonnenuntergang ist atemberaubend. „Perkoz geht in die Box.“ „Box frei.“ Anwackeln, Treppe abwärts. 210 km/h, Blickpunkt, ziehen. Oben eine Spur nachlassen, wieder ziehen und raus. Der Loop sitzt. „Gut so“, kommt es von hinten. Fahrt 180, 30 Grad aufwärts, Querruder voll links. Der Perkoz rollt. Rückenflug, Fahrt wegdrücken, Zug am Knüppel. Die Erde kommt rum, Abfangen. Richtungsfehler. Völlig egal. Plötzlich macht es wieder Spaß. Noch zwei Rollen hinterher und die Höhe ist weg. Steilkreise und ab nach Hause. Als ich aussteige, habe ich vermutlich ein grenzdebiles Grinsen im Gesicht. Der Flug war psychologisch extrem wichtig. Mit der Schmach aus dem JP-Flug konnte ich nicht ins Bett gehen.

Am Abend soll es noch einmal die Theorie-Dröhnung geben, aber die ganze Truppe ist derart breit geflogen – Fluglehrer inklusive – dass es bei einem gemeinsamen Videoabend bleibt. Aber auch der ist lehrreich, denn Martin Pohl vom KFAO hat so ziemlich das ganze Programm von Flugfehlern und Resultaten wie Trudeln, Steilspirale und Rückentrudeln in kleinen Filmchen festgehalten. Die schlechte Nachricht: Wer beim Ausleiten des Trudelns zu stark nachdrückt, findet sich ratzfatz im Rückentrudeln wieder. Die gute Nachricht: Das wird genauso beendet wie das normale Trudeln. Zum Abschluss gibt’s noch ein Kunstflug-Outtakes-Video, und dann ist Schluss. Reicht auch. Die ganze Nacht durch fliege ich Loops. Und das ist auch gut so.

 

Mittwoch, 13. September

Wenngleich das Wetter mies vorhergesagt ist, hallen wir angesichts der Tatsache, dass es nicht regnet, früh aus. Bereits beim Frühstück ist das aber Makulatur, und ich düse mit Eddy nochmal an den Start, um den Perkoz mit Spanngurten und Heringen zu verankern. Immo knotet seinen Salto in patentverdächtiger Art und Weise an sein Auto. Nach dem Frühstück zweites Briefing, das Regenradar lässt das Schlimmste befürchten. Entschluss: Abbruch und Einhallen. Freier Tag für alle, da keine Besserung in Sicht. Zum Kaffee gibt es gemäß der KFAO-Tradition den ersten Stollen des Jahres. Am Abend ist Bergfest mit Grillen angesetzt. Wir haben Spaß, entsprechend lange sind wir auf den Beinen. Es ist Eddis und Silvias letzter Tag beim Lehrgang, der Job ruft. Als gute Gäste haben wir kleine Geschenke für die beiden vorbereitet. Eddy nimmt das Präsent mit Alkoholischem, Kraftkleber, Panzertape und Polierwatte staatsmännisch entgegen. Seit klar ist, dass die beiden ASK21-Piloten den Crash weitgehend unbeschadet überstanden haben, kann man das Thema auch wieder humorvoll behandeln.

 

Donnerstag, 14. September

Das Wetter wird besser, der Regen wärmer. Ab 11 Uhr ist Theorie angesetzt. Jeder hat die Aufgabe, sich das Grundprogramm einmal selbst zu erarbeiten. Literatur kann genutzt werden, es soll aber nicht alles stupide abgeschrieben werden. Ich wähle sicherheitshalber einen großen Zettel, male mir die Aresti-Figuren drauf und notiere alles, was meiner Meinung nach wichtig ist. Anschließend tanzt jeder sein Programm in der imaginären Box im Aufenthaltsraum durch, die Fluglehrer machen sich Notizen und am Ende tragen wir alles so zusammen, dass jeder von den Ideen und Fehlern der anderen profitiert. Bei jedem Sonnenstrahl, der durch die dunklen Wolken sticht, brüllt einer von uns laut „AUSRÄUMEN!!“, was der Rest zumeist mit einem verbitterten Lächeln quittiert. Es soll eben nicht sein.

 

Freitag, 15. September

So langsam schlaucht das frühe Aufstehen gewaltig. Dennoch ist die Motivation hoch, alle sind fluggeil. Die anderen haben zumindest auch die realistische Chance auf den Abschluss, ich hoffe irgendwie darauf, bin mir aber angesichts meines Rückstandes eigentlich klar, dass das nix wird. Aber es gilt, so viele Flüge wie möglich mitzunehmen, Windenstart statt F-Schlepp eben. Geiz ist irgendwie doch geil…

Am Vormittag mache ich vier Flüge mit Thomas. Loop, Auf- und Abschwünge, Rollen links und rechts. Abgesehen vom Turn fliegen wir alle Figuren durch. In den ersten beiden Flügen geht ziemlich viel daneben, aber dann kommt System rein. Bei einer Rolle drücke ich die ganze Zeit das Höhenruder durch, nach der halben Figur verfällt Thomas hinter mir in beinahe hysterisches Lachen. „Das war jetzt Freestyle-Kunstflug, die Figur muss ich mir merken“, kommentiert er das Chaos. Nach dem zweiten Flug muss ich mir nochmal das anhören, was ich sowieso weiß. „Du bist zu hektisch. Liegt sicher am Charakter“, analysiert Thomas. Da hab ich nicht viel entgegen zu setzen, er hat Recht. Aber ich beherzige seine Ratschläge, denn bei den beiden folgenden Flügen gelingen die Figuren. Bei Auf- und Abschwung steht schließlich das ersehnte Plus im Ausbildungsnachweis. Geht doch.

Zwischenzeitlich ist auch bei den Damen die nächste Eskalationsstufe erreicht. Zitat Ilka: Jetzt ist Silvia wenigstens auf die Art bei mir mitgeflogen.“

Am späten Nachmittag fliege ich noch zweimal mit Olaf, dieses Mal ist der Turn dran. Im Grundprogramm wohl die schwierigste Figur. Aus 220 km/h senkrecht nach oben ziehen, Aufwärtslinie zeigen und dann im richtigen Moment voll ins Seitenruder treten und so um eine Flächenspitze fächern. Sieht schick aus – wenn man`s kann. Olaf fliegt es vor, dann probiere ich mein Glück. Die ersten Turns fliegen wir ohne Vorspannen. Dabei ist aber das Risiko höher, dass er komplett misslingt. Üblicher Weise lässt man eine Fläche leicht hängen und gibt in der Aufwärtslinie dezent Gegenseitenruder, um das negative Wendemoment zu kompensieren. Durch den Schiebeflug kann man beim Fächern entgegen der Schieberichtung mehr als den vollen Seitenruderausschlag nutzen, um die Drehung einzuleiten. Wie viele Turns wir probieren weiß ich nicht, manche gelingen, manche gehen kolossal daneben. „Wenn eine Aufwärtsfigur misslingt, dann Ruder auf Anschlag und enjoy the show“, kommentiert Olaf sarkastisch. Und tatsächlich ist es einfach nur irre, wenn es plötzlich totenstill im Cockpit wird, das Flugzeug scheinbar sekundenlang in der Luft steht und dann irgendwas völlig Unvorhersehbares macht. Nur im Abfangen sollte man schnell sein, denn das Flugzeug wird sehr sehr schnell sehr sehr schnell.

Am Ende des Tages weiß ich sicher, dass bei sechs Kunstflügen pro Tag mein Limit erreicht ist. Mit einer komischen Mischung aus totaler Erschöpfung und endorphinschwangerem Blut gehe ich ins Bett.

 

Samstag, 16. September

Finale, ooooo. Beim Briefing blicke ich in die Gesichter meiner Mitschüler und stelle fest, dass deren Mimik zwischen Übermüdung und Vorfreude mäandriert. Die vier, die es voraussichtlich schaffen, sind erwartungsgemäß besser gelaunt als die, die noch fliegerische Difizite aufarbeiten müssen oder einfach nicht auf ihr Flugkontingent kommen, sei es aus Erkältungs- (ich) oder Schlechtwettergründen (die anderen).

Erneut tut sich Thomas mein Gefliege an. Und wieder scheint sich meine übliche Lern-Achterbahnkurve zu bestätigen. Das, was am Vortag noch funktionierte, geht wieder daneben. Aufschwünge, Rollen und Turns, manche klappen, manche nicht. Wenn ich im Turn Brülle „aaah, verkackt!“, hält Thomas stets mit „der kommt noch, der kommt noch!!“ dagegen. Und er behält überraschend oft Recht.

Wieder unten, schaue ich mir das Geturne der anderen an. Dennis und Benedikt waren am Vortag schon allein geflogen und ziehen sicher ihr Programm durch. Respekt. Auch Lukas wird wohl durchkommen. Bei den beiden Mädels ist es unsicher. Und dann ist da noch ein Kollege, der unbedingt auf Krampf durchkommen will, weil er den Segelkunstflug als Basis für den Motorkunstflug nutzen will. Daraus resultiert eine ziemlich dreiste Art, für sich Flüge zu reklamieren, die mir zunehmend auf den Sack geht. Mitten im Lehrgang zwei Tage abhauen und dann den Flugschwamm spielen – sowas ist einfach schlechter Stil. Aber auch die anderen scheinen davon genervt.

So stehen wir kollektiv am Boden und kommentieren die fliegerischen Leistungen der anderen. Tatsächlich ist das einer der Aspekte des Kunstfluges, die mich besonders reizen: das Feedback. Du bekommst direkt nach der Landung eine Rückmeldung über das, was gut und was schlecht war. Beim Streckenflug kannst du dir die Kritik nur irgendwie selber zusammenstückeln aus Fakten wie Außenlandung (abgestuft nach mit bzw. ohne Schaden), zu geringe Strecke oder zu geringen Schnitt geflogen. Während ich beim Streckenflug – selbstkritisch betrachtet – wohl nie Ambitionen auf die großen Distanzen entwickeln werde, sieht das beim Kunstflug anders aus. Kaum dass klar war, dass mein Körper die Belastungen gut verträgt, keimte der Ehrgeiz auf, es gut zu machen. Gut war angesichts fehlender Erfahrung freilich noch nicht drin, aber die Lust aufs Üben ist einfach da.

Zum Abschluss des Lehrgangs geht’s wieder mit Olaf in die Luft. Es ist schon spät am Nachmittag, die Sonne scheint und wir können die Flüge richtig genießen. (Olaf, wenn du das liest und anderer Meinung bist, lass es meinen Anwalt wissen ;-)) Im ersten folgt Turn auf Turn. Mal mit, mal ohne Vorspannen. Einige klappen, manche gehen daneben. Aber so langsam hab ich es raus, bei welchem Tempo das Seitenruder kommen muss, damit er vernünftig fächert. Ab Flug zwei machen wir das komplette Programm: Treppe ab, Loop, Rollenkehre, Aufschwung, Rollen und die Turns. Auch wenn ich im ersten Durchlauf den Aufschwung glatt vergesse und direkt nen Turn fliege, ist Olaf zufrieden. Und – viel wichtiger – ich auch. Das, was eine Woche zuvor noch völlig unkoordiniertes Rumgerudere war, fügt sich so langsam zu koordinierter Fliegerei. Am Ende des Tages stehen nur noch Pluszeichen im Ausbildungsnachweis. 18 Flüge sind geschafft, mehr wird es einfach nicht, weil am nächsten morgen um 6.30 mein Flieger nach London geht – die Pink-Floyd-Ausstellung „Their Mortal Remains“ im Victoria & Albert Museum muss ich mir einfach angucken. Allerdings bedeutet das, eine Stunde Horizontalflug, mutmaßlich die Höchststrafe nach einem Kunstfluglehrgang.

Der Stress der Woche macht sich inzwischen bei allen bemerkbar. Selbst die Lehrer räumen ein, dass es reicht. Nach einigen verunglückten Figuren meiner Kameraden fällt der Entschluss, keinen Grundschüler mehr allein fliegen zu lassen. Das spielt am Ende aber keine Rolle mehr, denn drei Mann sind durch und die anderen wissen gut genug um ihre Defizite. Und sie sind mehr als motiviert, diese nach dem Lehrgang noch auszuräumen, bevor sie sich den Eintrag „Aerobatic“ in die Lizenz stempeln lassen.

 

Was bleibt von einer Woche Kunstfluglehrgang in Reinsdorf? Am wichtigsten ist vielleicht die Erkenntnis, dass die Kunstflieger irgendwie allesamt gewaltig einen an der Waffel haben – aber auf eine unglaublich sympathische Art. Zum ersten Mal seit Ende meiner Flugausbildung habe ich mit Wissensdurst den Ausführungen von Fluglehrern gelauscht, habe mich durch Theorieunterlagen gearbeitet und versucht, gelerntes in die Praxis umzusetzen. Das alles hat riesigen Spaß gemacht und am meisten freut mich, dass es damit nicht zu Ende ist. Als erstes steht an, die Berechtigung fertig zu machen. Das ist aber nur der Einstieg in die Turnerei. Das Bronzene Leistungsabzeichen ist das kurzfristige, Silber das mittelfristige Ziel. Bleibt die Frage, wie ich mir das Training organisieren kann – und ob ich mir jetzt nicht doch so langsam Gedanken um ein eigenes Flugzeug machen sollte. Eine Pik20D zum Beispiel. Natürlich in Gelb…

Ein großer Dank geht an alle, die diesen Lehrgang möglich gemacht haben. Die Organisatoren, die geduldigen Fluglehrer – die uns gezeigt haben, wie man Flugzeuge fliegt anstatt sie nur zu bewegen, die unerschrockenen Windenfahrer, die selbstlosen Helfer und – nicht unwesentlich – die Teilnehmer. Selten waren so viele Leute so sehr um mein Wohl besorgt, selten konnte ich mir so oft Sprüche anhören wie „Kurier lieber deine Erkältung aus, bevor du fliegst“ oder „Das Fliegen ist gerade nicht gut für dich, ich kann das gerne übernehmen“. Schon klar, Kameraden.

Whatever: Bis zum nächsten KFAO-Lehrgang.

Kunstfluglehrgang Reinsdorf 1

2 Kommentare zu „Richtig fliegen lernen

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