Happy-Kadaver-Day – das heißt Feiertag in BaWü und dementsprechend Zeit zu fliegen. Zwar sieht es seit meiner Abreise zur Mönchsheide in meinem Zimmer aus wie Sau und das Finanzamt sitzt mir mit der Drohung einer Steuerschätzung im Nacken, aber was sind diese Szenarien schon angesichts der Aussicht auf einen Flugtag? Zumal ich jetzt dank Top Meteo-Zugang keine meteorologischen Ausreden mehr fürs Nicht-Fliegen geltend machen kann. Danke an dieser Stelle an den Wolkendoktor, der mir meinen Gutschein, den ich im vergangenen Jahr neben einem Dynafoam-Kissen als Präsent von der Bad Breisiger Segelflugwoche mit nach Hause nehmen durfte, auf 2016 umgeschrieben hat. DANKE!
Nun, dank präziser Vorhersage wusste ich dann auch, dass einer wie ich es angesichts einer potenziellen Flugdistanz von 90 Kilometern für den Tag am besten gleich sein lassen sollte.
Dennoch schlage ich motiviert wie immer auf dem Platz auf und bin erstaunt, dass um zehn Uhr nur so wenige Leute an der kleinen Halle des Vereins stehen. „Die sind alle schon am Aufrüsten“, erfahre ich dann. Oha. Zunächst aber rufe ich Biggo an und frage, ob die Kilo 6 wieder einsatzklar ist. Der Chef meint, dass bis auf den roten Faden alles wieder im Lot sei. Höhenmesser getauscht, Fahrtmesser kontrolliert. Ok, das mit dem Faden kann ich selber beheben. Zwei Schnitte ins Klebeband, Faden abgelängt, draufgepappt, gut ist. Dann schiebe ich den Hänger ans Tor und drei Kameraden helfen mir, den Rumpfbock auf die Schienen zu setzen. Dann schnell mit dem Anhänger zum Stellplatz und aufrüsten.
An der Startstelle dann die Ernüchterung: Kilo 8 geht auf Strecke, um Kilo 4 kloppen sich die Einsitzer-Schüler und auf Kilo 6 wollen auch vier Mann fliegen. Was also tun? Wie wär’s mit Duo-Fliegen? Fluglehrer Kilian kann ich überzeugen, also schnappe ich mir zwei Leute und zerre den Doppelsitzer von der Halle zum Start. Gemeinsam checken wir den Flieger durch, und kurz darauf hebt Kilian mit einem jugendlichen Gast ab. Ich muss nicht den ersten Flug machen, zumal nicht klar ist, ob die Wolken schon was bringen. Nachdem der Duo anderthalb Stunden in der Luft ist und die Kilo 6 rumsteht, mache ich mir den Einsitzer klar. Lieber den fliegen als die schönen Wolken südlich des Platzes den anderen allein überlassen. Und natürlich muss ich auch meinen Faden in einem Werkstattflug auf ordnungsgemäße Funktion überprüfen.
Haube zu, Startcheck, los geht’s. Vom ersten Moment an wieder das Alles-passt-perfekt-Gefühl. Der Discus 2b ist einfach ein gutmütiges Flugzeug, bei dem wahrscheinlich auch ein mittelintelligenter Schimpanse den Faden in der Mitte halten könnte. Ein paar Minuten brauche ich, bis ich den ersten Aufwind einigermaßen zentriert habe, aber dann steigt es gut. Ich kreise mich auf 900 Meter AGL hoch, der Sektor Hahnweide ist offen, also dürfte ich bis 5000 Fuß MSL. Das auszureizen gelingt mir aber nicht, deswegen fliege ich gen Süden, vielleicht steigts da ja besser. Außerdem muss ich ein bisschen Platzorientierung üben und lernen einzuschätzen, wie weit ich mit dem Discus bei welchen Verhältnissen komme. So eiere ich bis zum Flugplatz Hülben und gucke mir aus der Luft an, was da unten so abgeht. Zwischendrin kurz auf die Segelflug-ATIS gezappt und erfahren, dass der Sektor Alb-Nord bis 6000 Fuß MSL offen ist. Da komm ich trotz kreisen zwar nicht hin, aber gut zu wissen, dass nach oben sprichwörtlich Luft ist. Auf dem Rückweg geht es an der Burg Neuffen vorbei, wo zahlreiche Gleitschirmflieger am Himmel hängen. Ein schönes Bild, die ganze Putzlappen in der Luft. Nach rund einer Stunde reicht es mir, und ich arbeite mich mit Langsamflug, Sackflug und Slip nach unten. Erkenntnis 1: Beim Üben des Slips nervt die Fahrwerkswarnung ungemein. Erkenntnis 2: Auch im Langsamflug ist der Discus 2 absolut beherrschbar.
Kurz nach der Positionsmeldung will ich das Fahrwerk ausfahren und muss dazu umgreifen, denn der Hebel liegt rechts im Cockpit. Das verstehe ich bei den Schempp-Hirth-Fliegern nicht wirklich. Warum muss man den rechts hinbauen? Der Klappenhebel liegt weit genug oben, da würde das Fahrwerksgestänge bestimmt drunter passen. Ok, bei Wölbklappenfliegern wäre es sicher eng, dennoch finde ich es der Sicherheit wegen Mist, erst den Knüppel in die linke Hand nehmen zu müssen, um das Rad rauszuhauen. Und prompt passiert es: Linke Hand am Knüppel, Fahrwerkshebel mit der rechten Hand vor. Der schnellt zurück, und im zweiten Versuch drücke ich völlig unbeabsichtigt auch den Steuerknüppel gleich mit nach. Höhe habe ich zwar genug, dennoch bin ich erschrocken von meiner Reaktion und verliere bestimmt 10, 20 Meter, bevor ich wieder hochziehe. Möglich, dass eine derartige Überlagerung von Bewegungen auch zu dem tödlichen Unfall jüngst in Klix geführt hat. Als ich in den Landeanflug einschwenke, hat sich mein Puls wieder beruhigt und ich bekomme den Flieger sauber auf die Erde. Eine Stunde und 17 Minuten nach dem Start.
Bis zum späten Nachmittag spiele ich dann Starthelfer bei anderen, bevor ich gemeinsam mit Fluglehrer noch zwei Starts auf dem Duo mache. Und hier ist das Gefühl noch viel stärker als beim Einsitzer. Reinsetzen, wohlfühlen, fliegen. Keine Ahnung wieso, aber der Duo hat’s mir voll angetan. Wenn man über die langen Flächen in den Kreis guckt, wenn man bedächtig und unaufgeregt seine Kurven zieht – so macht Segelfliegen einfach nur Spaß. Den Landeanflug machen wir bis vor die Halle, wobei mein Co-Pilot zwecks Einparken zur Halleneinfahrt die Kiste im Ausrollen um fast 180 Grad wendet. Waschen, anziehen und ab ins Bett.
Den Freitag verbringe ich dienstlich auf der Wasserkuppe, weil hier im Deutschen Segelflugmuseum mit Modellflug eine Konferenz zum Thema unbemannte Luftfahrtgeräte stattfinden. Eine längere Pause nutze ich, um mich in der Ausstellung umzuschauen. Und ja, auch wenn ich sonst für Segelflug-Oldtimer nicht so richtig viel übrig habe – als ich den DFS Reiher unter der Hallendecke schweben sehe, da bekomme ichso richtig Lust auf einen Flug mit diesem alten Knickflügel-Drachen. Und laut Museumschefin Claudia Stengele fliegt sich das Gerät auch richtig gut. Mich fasziniert vor allem die Haube, deren Gitterrahmen mich irgendwie an die Kanzel der Ju 288 erinnert. Um einen „Plastefuzzi“ wie mich für Holz zu begeistern, sei aber der Habicht das viel bessere Flugzeug. Im Gegensatz zum Reiher, der – obgleich absolut Flugfähig – wohl den Rest seines Daseins unter der Hallendecke fristen wird, wird der Habicht im Verein regelmäßig geflogen. Schon irgendwie ne tolle Sache, solche Luftfahrtlegenden am Leben zu halten. Zumal der Habicht ursprünglich mal für +12 und -9 g zugelassen war – kompromisslose Stabilität für den Kunstflug!
Gänsehaut bekomme ich, als ich den Prototypen der LS1 erblicke. Vor allem das charakteristische Pendelruder sticht hervor. Aber diese frühe Else hat noch Hinterkantenklappen anstatt der Schempp-Hirth-Bremsklappen. Um die Ecke findet sich auch das einzige je gebaute Exemplar des Rolladen-Schneider-Doppelsitzers Ornith – das erste Doppelsitzige Kunststoff-Segelflugzeug überhaupt. Konstruiert unter Verwendung des LS1-Rumpfes ist es eher ein Anderthalbsitzer, die Pedale des hinteren Sitzes sind fast auf Höhe des vorderen Steuerknüppels! Die Rüstmasse des Fliegers beträgt nur 285 Kilogramm, kein Vergleich mit heutigen Doppelsitzern. Später wurde der Hinterrumpf einer LS3 angebracht, sodass sie heute anstatt mit Pendelruder mit einer klassischen Höhenflosse zu sehen ist.
Dazwischen steht noch eine ganze Menge anderes geschichtsschwangeres Geflügel, und es lohnt sich wirklich für jeden Segelflieger, der Wasserkuppe mal einen Besuch abzustatten. Irgendwann werde ich hier bestimmt mal herkommen, um den Habicht zu fliegen. Und ehrlich: Ich freue mich drauf!
Hi Lars, wegen des Fahrwerks beim Discus, ne Idee: wenn Du die Trimmung gut eingestellt hast, kannst Du auch für einen Moment lang den Steuerknüppel loslassen und brauchst dann beim Ausfahren des Fahrwerks nicht umgreifen. Das Flugzeug fliegt ja auch alleine, ohne das Du die Hand am Steuer hast, für eine Weile sauber weiter.