Manchmal hat man einfach einen Lauf… Erst die Überandflugeinweieung am vorvergangenen Samstag, die abgeschlossene F-Schlepp-Ausbildung am Sonntag und jetzt auch noch der erste Überlandflug solo… So richtig darauf aus war ich eigentlich noch gar nicht, immerhin soll die zweite Überlandflugeinweisung erst diese Woche mit dem Motorsegler von Merseburg aus stattfinden. Nach kurzer Beratung kamen meine zwei Fluglehrer Bernd und Ulf jedoch zu der Ansicht, dass auch nichts dagegen spreche, ein kurzes Dreieck im „Vorgarten“ des Flugplatzes allein zu fliegen. Flugerfahrung hatte ich mit 300 Starts hinreichend, und auch die Navigation und Thermikfliegerei hat bei der ersten Einweisung so gut geklappt, dass ich mich damit keineswegs überfordert fühlen musste. Also Karte, Stifte und ein leeres Blatt Papier gezückt und noch schnell nen Steuermannsplan hingeschmiert, der zumindest annährend das Dreieck Taucha-Böhlen-Grimma abstrahieren konnte. Den Piraten startklar gemacht, mit allen Dokumenten und etwas Proviant ausgerüstet und die F-Schleppkupplung, bei der ich den Windschutz beim letzten mal unabsichtlich „entfernt“ hatte, mit Pappe und speziellem Abklebeband für Segelflugzeuge dicht gemacht, so dass ich mir weder um kalte Füße, noch um nervige Pfeifgeräusche ne Waffel machen musste. Ab zum Start und los gings.
Ausklinkhöhe 400m, abkurven nach rechts in Richtung Tresenforst. Schon auf dem Weg dorthin einige Kreise gedreht und so auf 600m gekommen. Nachfrage bei der Flugleitung bezüglich der Freigabe im Segelfluggebiet. Antwort von Flugleiter Karsten: „4500 Fuß!“ 4500 Fuß, macht 1200 Meter, immerhin rechnen die Kollegen der Deutschen Flugsicherung in MSL-Höhen, unser Flugplatz liegt aber schon 500ft über MSL. Also wieder eingekreist und zwar richtig. Drei bis vier Meter rund, fast wie Fahrstuhlfahren. Kaum war bei 1000 Meter erstmal schluss und es ging nur noch sporadisch aufwärts, knirschte wieder Karsten im Funk und informierte über die Rücknahme der Höhenfreigabe auf 2500 Fuß, also 600 Meter über Grund, und das unerklärlicher Weise schon in drei Minuten. Was nun? Höhe abfliegen (oder eher abslippen, anders wäre ich wohl gar nicht so schnell runter gekommen) und in der Nähe des Platzes bleiben? Niemals! Also Kurs auf Grimma, Nase runter und feuer frei. Bei konstanten 140 bis 160 km/h hatte ich ein Sinken von drei bis vier Metern pro Sekunde und kam dem Ende des Luftraums, der sich in südlicher Richtung bis zum Autobahndreieck Parthenaue erstreckt, zügig näher. Ein paar Kilometer vor der Grenze hatte ich meine 600 Meter und meldete über Funk die Einnahme der vorgeschriebenen Höhe. Kurz darauf funkte ich nochmal nach Taucha das Verlassen des Segelfluggebietes. Karsten bestätigte und wünschte mir viel Glück.
Komisches Gefühl. Weg vom Flugplatz, keine Kameraden in Sicht, kein Fluglehrer, der dir sagt was zu tun ist. Die eigenen Entscheidungen zählen. Und wie ein Fluglehrer aus Perleberg immer sagte: „Eine Entscheidung kann falsch sein. Es ist aber definitiv falsch, gar keine Entscheidung zu treffen.“ So traf ich meine Entscheidungen. Kurz nach Ausflug aus dem Luftraum ging es thermisch ganz gut weiter. bis auf 700 Meter ging es wieder hoch, aber bei weitem nicht mehr so enthusiastisch wie in Platznähe. Da ich mit dieser Höhe aber ohnehin nicht wieder bis nach Taucha zurückgekommen wäre, konnte ich auch weiter Kurs auf Grimma halten, was navigatorisch simpel war, da ich nur der Autobahn hinterherfliegen musste. Nahe Naunhof gings dann über die A14, hier konnte ich über der ehemaligen Kiesgrube nochmal knappe 100 Meter gutmachen. Aber irgendwie so hammermäßig war die Thermik dann doch nicht mehr… Also weiter Süd-Südost, Grimma direkt vor mir in Sicht. Und es ging runter. Gleichmäßig und konstant. Unbewusst hatte ich schon die ganze Zeit nach einem Außenlandefeld gesucht, nur für den Fall. Nahe Großsteinberg – gut erkennbar durch den Steinbruch am östlichen Ortsrand, überflog ich nochmal ein Waldstück in rund 350 Metern Höhe in der Hoffnung, an der östlichen Kante durch Ablösungen des Ostwindes irgendwas zu finden, was mich wieder auf Höhe brachte. Aber Scheiße wars, hier stieg gar nichts. Allerdings: zwischen einigen vollen Getreidefeldern gab es zwei, drei Streifen, die frisch abgemäht zu sein schienen und direkt auf eine Straße zuführten. Perfekt.
Noch ein paar Runden flog ich östlich des Waldes ohne Erfolg bei der Thermiksuche und suchte dabei die Felder unter mir auf Hindernisse ab. Östlich der Straße wollte ich nicht einschlagen, denn da liefen Hochspannungsleitungen genau quer zu meiner Landerichtung übers Feld. Also nochmal zurück, Bei 150 Metern die Position zum Gegenanflug gesetzt, in gut hundert Metern über dem Wald auf das Feld eingedreht, Klappen raus und runter. Wie auf dem Flugplatz: Anschweben – Abfangen – Ausschweben – Aufsetzen – Ausrollen. Es rumpelte ordentlich, als das Rad Bodenberührung bekam, aber der Acker war fest. Doch Überraschung: Etwa in der Mitte machte das Feld einen Abschwung, der aus der Luft unmöglich zu erkennen gewesen war. Dank funktionierender Radbremse kam mir das allerdings entgegen, denn so konnte ich die Klappen einfahren und den Piraten rollen lassen. 15 Meter vor dem Feldrand schließlich bremsen, Fläche ablegen und er stand. Flieger ganz, Pilot ganz, ersten Allein-Überlandflug gleich mit einer sauberen Außenlandung beendet. Nicht das eigentliche Ziel des Fluges, aber unzufrieden war ich damit nicht.
Kaum unten, eine SMS von Erik. Der wollte 300 Kilometer mit der LS1 fliegen, schien aber wieder am Flugplatz gelandet zu sein. „Ruf mal an wenn du kannst“, schrieb er. Gesagt, getan. „Wo liegts du?“ fragte er. „Nahe Grimma“, gab ich zurück. „Ich stehe bei Wurzen…“ Also hatte es auch ihn erwischt.
Nun schnell die Dokumente ausm Flieger geschnappt und zum Ortseingang getingelt. Beiersdorf. Werde ich wohl nie vergessen, den Ort. Mit dem Handy die Flugleitung in Taucha angerufen und mitgeteilt, dass das Dasein als Fußgänger irgendwie Mist ist. „Mit mindestens vier Stunden Wartezeit musst du rechnen“, gab Karsten unumwunden zurück. Nunja, so war es halt. Also zum nächsten Bauerngehörft gelatscht, ne Flasche Wasser und ne Zeitung zum Zeitvertreib erbettelt, und sogar nen Kuli fürs Kreuzworträtsel angeboten bekommen. An dieser Stelle vielen Dank an die Hofbesitzerin für die Gastfreundschaft.
Während ich im Schatten meiner Tragfläche lümmelte – aus dem Sitzkissen und dem Fallschirm hatte ich mir eine formidable Liegefläche gezimmert, bekam ich mehrmals Besuch von Radlern und Autofahrern, die wissen wollten, ob alles in Ordnung sei. Auch der Vater der Bäuerin kam vorbei – selbst ehemaliger Segelflieger – und sorgte mit Geschichten aus seiner Fliegerzeit für Zeitvertreib.
Kurz vor 19 Uhr – nach fünfeinhalb Stunden auf dem Acker – kam der Vereinsvorsitzende persönlich samt drei Mann im Schlepptau, um mich und das Flugzeug abzuholen. Gut 20 Minuten Abrüstzeit – echt ne fixe Nummer. Und nochmal 20 Minuten zurück zum Platz, mit Zwischenstop an der Tankstelle, wo ich deutlich überteuerte Bratwürste gekauft habe, um die Rückholmannschaft wenigstens mit einem deftigen Abendbrot zu versorgen. Bei Bier und Bratwurst schließlich die Auswertung. Überraschenderweise gab es von den meisten erfahrenen Piloten und den Fluglehrern Schulterklopfen und Glückwünsche zur erfolgreichen Außenlandung. „Das gehört dazu“, meinten die einen, „Du hast dich wenigstens getraut wegzufliegen vom Flugplatz“ die anderen.
Im Rückblick ein verdammt cooler Tag.