Manchmal kommen großartige Sachen dabei heraus, wenn etwas nicht so läuft wie geplant. So war das mit dem Flug am vorvergangenen Wochenende.
Nachdem ich den Samstag mit einem herrlichen Großeltern – Enkel – Urenkeltag verbracht hatte, hatte ich mir für den Sonntag vorgenommen, endlich mal einen Loop über der Göltzschtalbrücke zu fliegen. Mit den Greizer Segelfliegern hatte ich schon zwei Wochen zuvor Kontakt aufgenommen, war dann aber doch in Ansbach geflogen, weil ich früh nicht wirklich aus dem Bett gekommen war und nicht die beste Zeit des Tages auf der Autobahn verbringen wollte. Zwar erreichte ich in Greiz am Morgen niemanden, konnte mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass dort angesichts des Megawetters kein Flugbetrieb sein könnte. Also die 59 angehängt und Kurs Greiz.
Auf den 30 Kilometern dorthin wurde das Wetter immer Besser. Zwar war es brutal heiß, aber Richtung Erzgebirge ploppten immer mehr Cumuli auf. Die zu erwartende Thermik sollte selbst für mich reichen, um die drei Kilometer bis zur Brücke zu schaffen. Als ich jedoch in Greiz ankomme, dröhnt nur der Motor einer Extra, die sich kurz darauf in Richtung Kunstflugbox verabschiedet. Ansonsten ist abgesehen vom Flugleiter niemand auf dem Platz. Es seien früh nur zwei oder drei Segelflieger da gewesen, die dann beschlossen hätten, es angesichts der Hitze sein zu lassen. What???
Zwei Telefonate später weiß ich, dass wohl auch die Zwickauer nur bis Mittag machen und dass auch in Gera aktuell geflogen wird. Gera, meine Heimatstadt. Zwar hab ich dort mal drei Platzrunden auf der LS1 geflogen, aber für ein richtiges Sightseeing hatte es damals freilich nicht gereicht. Ist heute meine Chance? Also kehrtgemacht, den gleichen Weg zurück, quasi ein Jojo mit dem Anhänger, und in Gera vorgefahren. Kurzer Schwatz mit den Kameraden vom dortigen Luftsportverein und flugs die 59 Zusammengesteckt.
Der folgende Text ist der, der eine Woche später in der Ostthüringer Zeitung über diesen Flug abgedruckt wurde. Warum ich den hier 1:1 veröffentliche, obwohl der Lokalkolorit jenseits meiner Heimatstadt kaum jemanden interessieren dürfte? Weil ich damit zeigen will, dass ein vergleichsweise banaler Flug über der Heimatstadt taugt, um eine knappe Zeitungsseite für den Segelflug zu bekommen. Also: Fliegt über eure umliegenden Ortschaften, schreibt was dazu und bietet es der Zeitung an. Einfacher können wir Öffentlichkeit für unseren Sport kaum bekommen.
Entdeckungen aus der Vogelperspektive
Lars Reinhold ist Luftfahrtjournalist und Segelflieger. Jüngst hatte der gebürtige Geraer zum ersten Mal die Chance, seine Heimatstadt aus der Luft zu erkunden. Eine ungewöhnliche Sightseeing-Tour.
Wo zum Teufel ist der Garten meiner Großeltern? So sehr ich den Kopf auch verrenke, ich kann ihn nicht entdecken. Der Funkturm auf dem Büchsenberg oberhalb Taubenpreskeln müsste doch selbst aus 1500 Metern über dem Boden eigentlich gut zu sehen sein, und ein Stück darunter sollte ich den Garten, in dem ich als Kind so viele schöne Stunden verbracht hatte, finden können. Ich peile die Zwötzener Wendeschleife an, beiße mich mit meinen Augen an der Kaimberger Straße fest und folge ihr bis sie unter meiner Tragfläche verschwindet. Dann drücke ich den Steuerknüppel noch weiter nach rechts und lege mein Segelflugzeug in eine noch steilere Rechtskurve, sodass ich beinahe senkrecht nach unten sehen kann. Da ist er! Genau unter mir!
Ungefähr drei Stunden zuvor hatte ich noch am verschlossenen Greizer Flugplatztor gestanden. Einmal einen Looping über der Göltzschtalbrücke fliegen, das war mein Plan gewesen, ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass in Greiz bei diesem Hammerwetter kein Flugbetrieb sein könnte. Also kehrt gemacht, den Flugzeuganhänger wieder zurück nach Gera gezerrt in der Hoffnung, dass wenigstens der hiesige Luftsportverein der Hitze trotzt. Dank der Hilfe dreier Geraer Segelflieger sind die fünf Eizelteile – Rumpf, linker und rechter Flügel sowie linkes und rechtes Höhenleitwerk – ruckzuck zu einem Flugzeug zusammengebaut. Etwa 30 Minuten später bin ich startbereit, das Windenseil wird straff und die Beschleunigung drückt mich in den Sitz. Knapp 1000 Mal habe ich das inzwischen erlebt, und es ist doch immer wieder beeindruckend, wenn das Flugzeug innerhalb von drei Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h gebracht wird.
Die ersten zehn Minuten sind zäh. Aufgrund der Hitze kommen die thermischen Aufwinde, in denen ich Höhe gewinnen kann, unten raus nur schwer in Gang. Doch etwas südlich des Flugplatzes finde ich schwaches Steigen, das mit der Zeit stärker wird und mich auf knapp 2000 Meter über dem Flugplatz bringt. Die Sightseeing-Tour kann beginnen!
Nachdem ich den Garten am Büchsenberg entdeckt habe, geht es nach Lusan. Was mit dem Auto locker 20 Minuten dauert, erledige ich Luftlinie drei Minuten. Es sind ja auf dem direkten Wege auch nur gute zwei Kilometer. Der Sportplatz Brüte sieht aus der Luft sehr gepflegt aus, ein Stück davor, in der Karl-Matthes-Straße, stand einmal der Block, in dem ich häufig bei meiner Uroma zu Besuch war. Weiter Richtung Wendeschleife Zeulsdorf fällt mir auf, wie lückenhaft die Bebauung hier inzwischen ist. Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, in der ganz Lusan dicht mit Plattenbauten zugestellt war und hier richtig Leben herrschte. Rechts abbiegen, über den Keplerpark, in dem ich bei LFG Oertel mein Schülerpraktikum absolvierte, nach Debschwitz. In der Eiselstraße verbrachte ich die ersten 16 Jahre, ein Reihenhaus mit Garten. Die alte 4. Grundschule in der Debschwitzer Straße ist lange abgerissen, nur die Turnhalle steht noch.
Nachdem ich mir mit einigem Kreisen in einem Aufwind wieder etwas Höhe geholt habe, bringt mich ein Abstecher nach links über die Radrennbahn zum Klinikum. Erst aus der Luft bemerkt man, dass die neuen Gebäude ziemlich UFO-mäßig aussehen mit ihren geschwungenen Formen und sich dadurch deutlich von den klotzigen DDR-Bauten des alten Krankenhauses abheben. Nochmal rechts, Kurs Ost und Blick zum Stadtzentrum. Der Hofwiesenpark ist derzeit eher Steppe, die Arcaden und das Stadtmuseum sind selbst aus der Höhe gut zu erkennen. Ich folge der Elster Richtung Tinz und suche nach dem alten Liebegymnasium, wo ich 2004 mein Abi gemacht habe. Auf dem Postsportplatz etwas oberhalb des markanten Baus habe ich insbesondere beim Ausdauerlauf den Lehrern manch bösen Fluch entgegengebrüllt.
In einem weiten Bogen geht es nun über die Autobahn wieder Richtung Flugplatz. Links die Pionierkaserne, in der ich immerhin 28 Tage Dienst am Vaterland leistete. Rechts unter mir Bieblach-Ost, wo viele meiner Freunde ihre Kindheit verbrachten und das ähnlich wie Lusan in den letzten Jahren Federn lassen musste. Stichstraßen, die ins Nichts führen, künden noch von der einst dichten Bebauung hier. Auf dem Weg nach Leumnitz drehe ich noch eine Runde über dem Osten und fotografiere den Reuß-Park, wo mich – wann immer es mich nach Gera verschlägt – bei meinen Eltern ein weiches Bett und ein leckeres Frühstück erwarten.
Während ich mich südlich des Flugplatzes langsam nach unten kreise, genieße ich noch ein paar Blicke auf die neue Landschaft Ronneburg. Ganz ehrlich: Wer nicht weiß, wie es hier bis ins Jahr 2000 aussah, wer nie die Halden und Löcher gesehen hat, die der Uranerzbergbau hinterließ, kann sich nicht vorstellen, was hier geleistet wurde. Nach gut zweieinhalb Stunden setzt das Rad meines Segelfliegers wieder auf dem Gras des Leumnitzer Flugplatzes auf, und ein Kurztrip in die eigene Vergangenheit endet. Gera aus der Luft ist ein echtes Erlebnis – das jedem offensteht. Eine Mail an den Luftsportverein Gera reicht.
An dieser Stelle muss ich noch Buße tun. Meine liebe Schwester hat sich massiv darüber beschwert, dass sie im Text nicht vorkam. Also, Schwester, groooßes Sorry. Kommt nicht mehr vor!