Das Auslesen der IGC-Dateien auf dem Flarm am Montagabend bringt endlich Gewissheit. Ich habe tatsächlich die letzte große Hürde genommen. 50 Kilometer Streckenflug im Alleingang. Das Ende der Ausbildung ist nach fast sechs Jahren zum Greifen nahe. Dabei sah es am Samstag zunächst gar nicht so aus, als ob überhaupt Streckenflüge möglich wären. Zwar hieß es im Wetterbericht, es sei mit guter Blauthermik zu rechnen, aber Wunsch und Wirklichkeit lagen wieder einmal klaffend weit auseinander. Es war einfach nur heiß.
Bei den ersten Starts meiner Vereinskameraden reicht es nur für Platzrunden. Hoch, drei, vier Kreise, Landung. Fünf bis sieben Minuten, mehr nicht. Die Stimmung sinkt in den Keller, der Streckenflug scheint gestorben. Gegen 13 Uhr ändert sich das Bild, an einigen Stellen beginnt Wasser in der aufsteigenden Luft zu kondensieren, es bilden sich erste Wölkchen. Doch noch eine Chance? Abwarten. Eine halbe Stunde später ist der Himmel voll mit Cumuluswolken. Ich packe meine Siebensachen in den Flieger – neben dem üblichen Geraffel wie Luftfahrtkarten, Handy mit aktivierter Kamera, Getränke auch die aktuelle Spiegel-Ausgabe, damit ich bei einer erneuten Außenlandung irgendwo auf einem Feld fernab des Flugplatzes wenigstens was zu lesen habe. Aberglaube. Je besser man sich auf ein Ereignis vorbereitet, desto unwahrscheinlicher ist es, dass es tatsächlich eintritt…
Nach dem Windenstart habe ich ruckzuck Thermik, die mich bis auf 1800 Meter Höhe trägt. Ich gehe auf Ostkurs, fliege die B5 entlang, und wo es steigt, drehe ich ein paar Kreise, hole mir wieder etwas mehr Höhe. Erstes Ziel ist der Abzweig B5/B107 bei Neu Schrepkow. Was auf der Karte simpel aussieht, will aus der Luft erstmal identifiziert werden, denke ich und ärgere mich, keine eindeutigere Bodenmarke als Wendepunkt gewählt zu haben. Aus der Fülle an Informationen – die Kristalltherme rechts hinter mir, eine lange gerade Straße Richtung Süden und den Windpark direkt unter mir – komme ich zu dem Schluss, richtig zu sein, schieße ein Foto von der Kreuzung und drehe auf Kurs West-Nordwest, Richtung Karstädt. Die Zeiger des Höhenmessers wandern indes sukzessive nach unten, Zeit, wieder an Höhe zu gewinnen. Bei knapp über 500 Metern gucke ich bereits intensiv nach landbaren Feldern, da ruppelt es im Flieger. Drei, vier Kreise, und ich habe den Bart rund, steige kontinuierlich bis auf 1100 Meter. Weiter im Gleitflug. Tempo 95 zeigt der Fahrtmesser, durch den leichten Rückenwind sind es über Grund etwa 110 Stundenkilometer.
Links zieht Perleberg vorbei, beste Chancen, bei plötzlichem Thermikende abzubiegen und Zuhause zu landen. Doch das ist heute keine Option, das Wetter ist zu gut. Im Funk höre ich mehrere Streckenflieger, die von sonstwo unterwegs sind und auf ihren Flügen den Himmel über der Prignitz durchqueren. Karstädt kommt näher, das große Silogebäude ist gut zu erkennen. Selbst im Geradeausflug sinkt das Flugzeug kaum, im Gegenteil. Bis zur Ortsmitte hin geht es aufwärts, am Ende zeigt der Höhenmesser wieder 1500 Meter. Um sicherzugehen, dass die Strecke auch wirklich 50 Kilometer lang wird, fliege ich noch weiter bis kurz vor die Landesgrenze, Wende ein Stück hinter der Stärkefabrik in Dallmin, schieße ein Foto und nehme Kurs auf den Flugplatz. Resthöhe reicht, noch ein paar Kreise im Aufwind zur Sicherheit – man kann nie wissen. Nur zehn Minuten später bin ich in 700 Metern Höhe am Flugplatz angekommen. Glücklich, zufrieden, eine Last los. Ich drücke den Steuerknüppel durch, stelle den Flieger auf die Nase, fange den Sturzflug bei Tempo 160 ab und gehe in einen sanften Steigflug. Ein bisschen Spaß muss sein. Gerade jetzt.